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Afghanistan: Wahlkandidatinnen in Gefahr

Wahlkampf wird zum Sicherheitsrisiko für Frauen – mehr Schutzmaßnahmen notwendig

(New York, 17. August, 2005) – Der Wahlkampf in Afghanistan hat mit heutigem Tag offiziell begonnen. Ein neuer Bericht von Human Rights Watch beschreibt die Schwierigkeiten, mit denen Frauen, die bei den afghanischen Parlaments- und Regionalwahlen kandidieren, zu kämpfen haben.

Die Regierung in Kabul und internationale Beobachter sollten die Wahlkandidatinnen vor Angriffen und Einschüchterungsversuchen durch Taliban und diverse Kriegsherren beschützen, forderte Human Rights Watch. Die Verbesserung der Beschwerdestellen und mehr Koordination zwischen den Kandidatinnen und den Sicherheitsbehörden seien laut Human Rights Watch dringend notwendige Schritte, um für mehr Sicherheit im Wahlkampf zu sorgen. Rund zehn Prozent der 5.800 Wahlkandidaten sind Frauen.

„Die Kandidatinnen in Afghanistan stellen sich gegen die Taliban, verschiedene Kriegsherren und konservative gesellschaftliche Normen, die sie vom öffentlichen Leben ausschließen wollen“, erklärte Nisha Varia, Mitarbeiterin der Asienabteilung von Human Rights Watch. „Es ist die Aufgabe der afghanischen Regierung, der Wahlbeobachter und der Friedenstruppen für die Sicherheit dieser mutigen Frauen zu sorgen. Auf ihre Anliegen und Beschwerden muss rasch reagiert werden.“

Der 28seitige Bericht „Campaigning against Fear: Women’s Participation in Afghanistan’s 2005 Elections” (Kampagne gegen die Angst: Afghanistans Frauen und ihre Teilnahme an den Wahlen 2005) stützt sich auf Dutzende Gespräche mit Wahlkandidatinnen und -helferinnen.

Frauen, die politisch aktiv sind oder sich für Frauenrechte einsetzen, agieren Human Rights Watch zufolge in einem Klima der Angst – obwohl sich das Leben für Frauen generell seit dem Fall der Taliban verbessert hat. Im Süden und Osten von Afghanistan versuchen wieder erstarkte Gruppen der Taliban, die Wahlen zu behindern. In anderen Gegenden trachten lokale Armeekommandanten danach, die Wahlergebnisse zu beeinflussen, indem sie Wähler und Kandidatinnen einschüchtern. „Ich habe Angst. Aber nicht vor al-Qaida, sondern vor den Kommandanten, die ebenfalls zur Wahl antreten“, erklärte eine Parlamentskandidatin gegenüber Human Rights Watch.

„Kein Wunder, dass sich Frauen Sorgen um ihre Sicherheit machen, wenn Kriegsherren und Menschenrechtsverletzer auf den Wahllisten stehen“, meinte Varia.

Human Rights Watch befürchtet, dass die Wahlen für das Unterhaus und die Landtage am 18. September weniger friedlich als die Präsidentschaftswahlen von 2004 vonstatten gehen. In den letzten Monaten verschlechterte sich die Sicherheitslage in Afghanistan: Eine Wahlhelferin wurde erschossen, eine angebliche „amerikanische Spionin“ von Taliban ermordet und am 10. August wurden sechs regierungsfreundliche Kleriker vermutlich von Taliban hingerichtet. „Die zwei größten Unsicherheitsfaktoren sind einerseits die Kriegsherren, die die Wahlen auf jeden Fall dominieren wollen“, erklärte Varia. „Und andererseits haben die Taliban angekündigt, den Wahlvorgang zu stören.“

Wenn die Teilnahme von Frauen am Wahlkampf und an den Wahlen selbst geringer ausfällt, dann liege die Schuld dafür bei der internationalen Gemeinschaft, die weder das Geld für Afghanistans Wahlbudget noch die Mittel für landesweite Sicherheitsmaßnahmen aufbringen konnte, so Human Rights Watch.

Ein Viertel der Sitze im Parlamentsunterhaus und in den Landtagen sind laut afghanischer Verfassung für Frauen reserviert. Ungefähr 12 Prozent (328 von 2.707) der Parlamentskandidaten sind Frauen. Verhältnismäßig weniger Frauen gaben ihre Kandidatur zu den Landtagswahlen bekannt. Nur acht Prozent (247 von 3.025) der regionalen Kandidaten sind Frauen. Den Grund dafür sieht die Menschenrechtsorganisation im Druck, der von den lokalen Kommandanten ausgeübt wird, und den restriktiven gesellschaftlichen Normen. Im unsicheren Süden und Osten des Landes bleiben aus Mangel an Kandidatinnen fünf der Landtagsitze leer.

Der Bericht beschreibt die Schwierigkeiten der Kandidatinnen beim Zugang zu Informationen und bei Reisen in andere Landesteile. Im Vergleich zu Männern seien sie größerer physischer Gefahr ausgesetzt und hätten weniger finanzielle Ressourcen. „Für Frauen ist es oft viel riskanter, die Öffentlichkeit zu erreichen. Sie stoßen auf größeren Widerstand, wenn ihr Gesicht auf Wahlplakaten erscheint oder bei Ansprachen in konservativen ländlichen Gebieten“, meinte Varia. „Viele Frauen betreiben wegen der unsicheren Lage nur einen eingeschränkten Wahlkampf.“

Laut Human Rights Watch sollten die Vereinigten Staaten und die NATO-Verbündeten das Mandat der internationalen Sicherheitstruppen erweitern, um Milizionäre zu entwaffnen und Frauen sowie unabhängige politische Akteure zu schützen. Afghanische Behörden aber sollten allen Drohungen und Angriffen auf Kandidaten nachgehen und die Täter dafür belangen.

Einige Zitate aus dem Bericht:

Sicherheit ist für Frauen und Männer unterschiedlich. Die Plakate von männlichen Kandidaten hängen überall im Bazar. Frauen können das nicht machen, weil sie Angst haben. In der Nacht könnte jemand kommen und sie umbringen. Alles kann passieren. Kriegsherren haben die Macht. Sie können machen, was sie wollen. Die Kommandanten haben viele Gewehre.
-- Parlamentskandidatin, Kandahar Region, 27. Juli 2005

Ich habe Angst davor, in den Kalafghan Bezirk in Takhar zu gehen. Ich möchte auch nicht in den Chal Bezirk gehen. Das sind abgelegene Gebiete und viele der Kommandanten dort kandidieren auch. Ich verlasse nie allein das Haus. Mein Vater und mein Bruder sind immer dabei.
-- Kandidatin für die Regionalwahlen in Takhar, 7. August 2005

Seit dem Fall der Taliban war die Sicherheitssituation ein Problem. Die Regierung sollte ein System finden, mit dem sie Sicherheit garantieren kann. Sie sagen, Frauen sind frei. Aber sie können nicht einfach nur sagen, dass Frauen Rechte haben, sie müssen sie garantieren. Sie müssen das Umfeld sicher machen.
-- Wahlhelferin in Kabul, 10. August 2005

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