HUMAN RIGHTS WATCH

Deutschland und seine Zuständigkeit für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Usbekistan

Häufig gestellte Fragen

Opfer des Massakers vom 13. Mai in Andischan haben mit der Hilfe von Human Rights Watch bei der deutschen Bundesanwaltschaft Anzeige gegen den usbekischen Innenminister Sakir Almatow erstattet.  

Wer ist Sakir Almatow?  
Sakir Almatow ist seit 1991 Innenminister von Usbekistan. Der 56jährige hat die Oberaufsicht über Sicherheitsbehörden und Gefängnisse und ist somit für die systematischen Folterungen in Usbekistan verantwortlich. Gefoltert wird in Untersuchungshaftanstalten genauso wie in regulären Gefängnissen. Beide Arten von Strafanstalten werden vom Innenministerium geführt. Einige der schwersten Folterungen wurden in dem Gefängnis durchgeführt, das sich im Innenministerium befindet. Als Innenminister hat Almatow das Oberkommando über jene Sicherheitskräfte, die im Mai 2005 Hunderte unbewaffnete Zivilisten in Andischan verletzten oder töteten.  
 
Was wird ihm vorgeworfen?  
Die Opfer von Übergriffen in Usbekistan haben die Bundesanwaltschaft aufgefordert, ein Ermittlungsverfahren gegen Almatow einzuleiten und in drei Punkten Anklage zu erheben: Einerseits wegen einzelner Fälle von Folter. Zweitens wegen Folter als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und zuletzt wegen dem Andischan-Massaker, das ebenfalls ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.  
 
Wer hat Anzeige erstattet?  
Es gibt acht Kläger, alle Usbeken. Sie wurden von Human Rights Watch unterstützt. Vier von ihnen wurden gefoltert, die anderen sind Opfer den Massakers von Andischan.  
 
Warum werden diese Fälle in Deutschland zur Anzeige gebracht?  
Almatow begab sich im November nach Deutschland zur Krebsbehandlung. Deutschland hat dem usbekischen Innenminister ein Einreisevisa gewährt, obwohl die Europäische Union ein Einreiseverbot für 12 Personen ausgesprochen hat, die für das Andischan-Massaker verantwortlich gehalten werden. Almatows Name steht ganz oben auf der Liste.  
 
Da sich Almatow in Deutschland aufhielt, war es einfacher, nach dem Weltrechtsprinzip gegen ihn ein Ermittlungsverfahren und eine mögliche Strafverfolgung einzuleiten. Sein Deutschlandaufenthalt ist aber keine Voraussetzung dafür. Unbestätigten Berichten zufolge hat Almatov die Bundesrepublik inzwischen verlassen. Gegen ihn kann trotzdem nach dem Weltrechtsprinzip ermittelt werden. Folter wird in Usbekistan nicht bestraft und die Opfer haben keine Aussicht auf Wiedergutmachung. Dies macht es noch dringlicher, Almatow außerhalb seiner Heimat zur Verantwortung zu ziehen.  
 
Warum ist die Klage gegen Almatow so wichtig?  
Seit langem bleiben in Usbekistan schwere Menschenrechtsvergehen, die von Regierungskräften begangen werden, ungeahndet. Es ist dringend notwendig, dass Almatow über seine Rolle bei systematischen Folterungen und im Andischan-Massaker Rechenschaft ablegt. Die Opfer der Folterungen, die unter seinem Kommando durchgeführt wurden, verdienen ihr Recht.  
Usbekistan hat gezeigt, dass es bezüglich Massakers von Andischan keine ernsthafte Ermittlung oder Strafverfolgung durchführen wird. Die Vereinten Nationen, die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa haben alle eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse in Andischan verlangt, allerdings ohne Erfolg. In Usbekistan gab es nur mehrere Schauprozesse, die aber laut EU, UN und dem Menschenrechtskommissar nicht dem internationalen Standard für faire Verfahren entsprochen haben.  
 
Die Klage gegen Almatow ist auch wichtig, um das Weltrechtsprinzip und seine Einbindung in das deutsche Rechtssystem zu testen. Das Statut des Gerichtshofs, in dem völkerrechtliche Verbrechen aufgelistet sind, wurde in nationales Recht aufgenommen. Deutschland rühmt sich zurecht für seine Unterstützung des Internationalen Gerichtshofs (IStGH). In der Sache Almatow kann Deutschland beweisen, dass es diese Prinzipien auch wirklich vor Gericht zur Anwendung bringen will.  
 
Welche Strafe droht Almatow, falls er in Deutschland verurteilt wird?  
Auf die Taten, die Almatow vorgeworfen werden, stehen lange Gefängnisstrafen. Falls er für die ärgsten Verbrechen, wie zum Beispiel Mord oder Tod durch Folter, verurteilt wird, könnte er dafür eine lebenslängliche Haftstrafe bekommen.  
 
Was ist das Weltrechtsprinzip und wie kommt es in Deutschland zur Anwendung?  
Das Weltrechtsprinzip besagt, dass manche Verbrechen die Menschheit so verletzen, dass sie vor jedem Gericht zur Anklage gebracht werden können, ohne dass es eine Rolle spielt, wo die Straftaten begangen wurden. Laut internationalem Recht können einzelne Staaten Gesetze erlassen, die ihren Gerichten ermöglichen, Ermittlungen durchzuführen. Deutschland hat die entsprechenden Gesetzesänderungen, gemäß des IStGH-Statuts, das in Rom beschlossen wurde, durchgeführt. Die Bundesrepublik ist in dieser Hinsicht beispielgebend.  
 
Welche Verbrechen fallen unter das Weltrechtsprinzip?  
Besonders ernste Straftaten wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen fallen unter das Weltrechtsprinzip.  
 
Was gilt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit?  
Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind laut Artikel 7 des IStGH-Statuts Einzeltaten, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung begangen werden. Diese Taten sind: Mord, Vernichtung, Versklavung, Abschiebung oder Zwangsumsiedlungen, Freiheitsentzug, Folter, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, Verfolgung einer Gruppe oder Organisation, Verschleppung, Apartheid und andere unmenschliche Taten, die wissentlich großes Leid und schwere physische oder psychische Verletzungen verursachen. Die Definition im deutschen Strafrecht entspricht dem Art. 7 des des IStGH-Statuts. Sowohl die systematischen Folterungen als auch das Massaker von Andischan fallen unter diese Definition von Verbrechen gegen die Menschheit.  
 
Wann ist das Weltrechtsprinzip bisher zur Anwendung gekommen?  
Zu den bekanntesten Fällen, bei denen das Weltrechtsprinzip angewendet wurde, gehören: Die Verhaftung von Augusto Pinochet in England für Folter und von Hissène Habré in Senegal für Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nach dem Weltrechtsprinzip wurden auch Ermittlungen durchgeführt und Personen verhaftet, um sie an Länder auszuliefern, in denen sie strafrechtlich verfolgt werden können.  
 
Ist Folter ein großes Problem in Usbekistan?  
Folter ist in Usbekistan weit verbreitet. Gefangene werden auf vielfache Weise misshandelt. Sie werden mit Schlagstöcken verprügelt, bekommen Elektroschocks und werden an den Hand- oder Fußgelenken aufgehängt. Außerdem kommt es zu Vergewaltigungen und sexuellen Erniedrigungen. Gefangenen werden Plastiktüten und Gasmasken über den Kopf gestülpt, so dass sie meinen zu ersticken, und ihren Verwandten wird körperliche Gewalt angedroht.  
 
Die Folterer kommen in Usbekistan fast immer ohne Strafe davon. Die Regierung geht den Foltervorwürfen nicht nach, die Täter werden nicht strafrechtlich verfolgt und es gibt keine Wiedergutmachung für die Opfer von Folterungen.  
 
Human Right Watch, Amnesty International und der UN-Sonderberichterstatter für Folter dokumentieren seit langem die systematischen Folterungen in Usbekistan und die Straffreiheit für die Täter.  
 
Was ist in Andischan passiert?  
Usbekische Regierungstruppen töteten am 13. Mai 2005 in Andischan Hunderte unbewaffnete Demonstranten. Der Protest ging von einigen Leuten aus, die davor Waffen in einem Wachzimmer und einem Militärstützpunkt in ihrem Besitz gebracht hatten. Sie befreiten lokale Geschäftsleute, die ungerechtfertigter Weise beschuldigt wurden, islamische Extremisten zu sein, aus dem Gefängnis und besetzten das Gebäude der Regionalregierung. Tausende Leute schlossen sich der Demonstration am Bobur Platz an, um ihren Unmut über die wachsende Armut und die Unterdrückung durch die Regierung auszudrücken.  
 
Einsatzkräfte, darunter auch Truppen des Innenministeriums, sperrten das Gebiet um den Platz ab und schossen wahllos in die Menge. Die Demonstranten versuchten wegzulaufen, wurden aber von Regierungstruppen gestellt und ohne Vorwarnung erschossen. Der UNO-Menschenrechtskommissar, die OSCE, Human Rights Watch und andere Organisationen haben diesen Einsatz von übertriebener Gewalt dokumentiert.  
Die Regierung hat bisher nichts unternommen, um gegen die für das Massaker Verantwortlichen zu ermitteln und sie strafrechtlich zu verfolgen. Stattdessen leugnet Usbekistan jegliche Verantwortung und verfolgt diejenigen, die eine unabhängige Untersuchung verlangen. In den Wochen nach dem Massaker machten Regierungstruppen Jagd auf Journalisten, Menschenrechts- und politische Aktivisten. Diese Leute wurden wegen fadenscheinigen Vergehen verhaftet, geschlagen und bedroht. Sie würden abgehört und von Schlägertrupps verfolgt, standen unter Hausarrest und wurden öffentlich angeprangert. In mehreren Schauprozessen wurden 73 Personen verurteilt für angebliche Verbrechen, die vor dem Massaker passiert sein sollen. Unabhängige Beobachter waren zu diesen Verhandlungen nicht zugelassen.  



Zu diesem Thema