HUMAN RIGHTS WATCH

Niederlande: Diskriminierung im Namen der Integration

Integrationstests im Herkunftsland verletzen Rechte von Migranten

(Den Haag, 15. Mai 2008) – Die Niederlande sollen den im Herkunftsland von Migranten angewandten „Integrationstest” abschaffen. Er wirkt diskriminierend gegen Einwanderungswillige abhängig von deren Nationalität, die ihrer Familie nachfolgen wollen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Hintergrundpapier. Bürger aus „westlichen” Ländern sind von dem Test ausgenommen, während zum Beispiel Menschen aus Marokko oder der Türkei, zwei der größten „nicht-westlichen” Migrantengruppen in den Niederlanden, besonders betroffen sind.

In dem 35-seitigen Hintergrundpapier „Discrimination in the Name of Integration: Migrants’ Rights Under the Integration Abroad Act” analysiert Human Rights Watch vor dem Hintergrund der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen der Niederlande den im Herkunftsland angewandten niederländischen Integrationstest.  
 
„Dieser Integrationstest ist diskriminierend, weil er sich explizit nur an Verwandte von Einwanderern richtet, die in erster Linie aus „nicht-westlichen Ländern” stammen, erklärte Holly Cartner, Direktorin der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Diese Maßnahmen halten Familien voneinander getrennt und zielen offensichtlich darauf ab, gewisse Personengruppen aus den Niederlanden fernzuhalten.”  
 
In den letzten Jahren haben die Niederlande eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, um die Integration der eingewanderten Bevölkerung zu verbessern. Dazu gehört neben einer Prüfung, die Migranten in den Niederlanden absolvieren müssen, der Integrationstest im Rahmen des „Gesetzes über die Integration im Herkunftsland“ (Wet inburgering in het buitenland). Das Gesetz ist seit Mai 2006 in Kraft und verlangt bei einer möglichen Familienzusammenführung, dass zuerst ein Test im Heimatland bestanden werden muss, bevor die Ehegatten oder andere Familienmitglieder in die Niederlande nachziehen können.  
 
Im Rahmen dieses Integrationstests müssen die Bewerber zeigen, dass sie über grundlegende Kenntnisse der niederländischen Sprache verfügen und über die allgemeine Struktur der niederländischen Gesellschaft Bescheid wissen, bevor sie in die Niederlande einreisen dürfen. Der Test erfolgt am Telefon in niederländischer Sprache. Der Bewerber absolviert ihn in der niederländischen Botschaft oder einem Konsulat der Niederlande in seinem Herkunftsland vor einem Computer. Wenn der Kandidat nicht besteht, kann der Test wiederholt werden. Dafür müssen jedoch das Prüfungsgeld von 350 € jedes Mal neu gezahlt werden. Vor kurzem hat die Regierung zudem entschieden, den Test schwieriger zu gestalten, indem die Messlatte für das erfolgreiche Bestehen erhöht wurde.  
 
Die Wirkung des Tests in Verbindung mit den gestiegenen finanziellen Vorleistungen für alle Migranten geht vor allem auf Kosten der Einwanderungswilligen, deren Familienangehörige zu den zwei der drei größten „nicht-westlichen” Migrantengruppen in den Niederlanden gehören. Dies sind Einwanderer aus Marokko und der Türkei. Seit der Einführung der Tests ist die Zahl der Anträge auf Familienzusammenführung und  
-bildungen deutlich gesunken. Besonders bedeutend ist der Rückgang bei Anträgen aus der Türkei und aus Marokko.  
 
Von den Tests ausgenommen sind Bürger aus der Europäischen Union (EU), dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der Schweiz, Australien, Kanada, Japan, Neuseeland, Südkorea und den USA.  
 
„Damit wird die Botschaft verbreitet, dass gewisse Gruppen nicht willkommen sind”, sagte Cartner. „Und damit riskiert man, diese Gemeinschaften vor den Kopf zu stoßen, statt deren Integration zu erleichtern.”  
 
Zwar verbieten internationale Menschenrechtsstandards den Staaten nicht, in der Immigrationspolitik zwischen Bürgern und Nicht-Bürgern zu unterscheiden. Doch dürfen Staaten in diesem Bereich weder die Nationalität noch die ethnische Zugehörigkeit von Migranten als Kriterium verwenden, mit einer eng definierten Ausnahme für EU-Bürger. Die niederländischen Behörden müssten äußerst schlagkräftige Gründe anführen, um die klare Unterscheidung bei der Behandlung der verschiedenen Nationalitäten zu rechtfertigen, die bei diesem Test angewendet wird.  
 
Das Hintergrundpapier kommt zu dem Ergebnis, dass das legitime Ziel der besseren Integration aller Migranten nicht mit Hilfe eines Tests erreicht werden kann, den nur bestimmte Migrantengruppen im Rahmen der Familienzusammenführung absolvieren müssen, während andere allein aufgrund ihrer Nationalität davon befreit sind. Eine generelle Ausnahme für Personen aus einer Reihe von Staaten widerspricht dem angeblichen Ziel des „Gesetzes über die Integration im Herkunftsland“ (Wet inburgering in het buitenland), dass alle Migranten schon vor ihrer Ankunft über ein grundsätzliches Integrationsniveau verfügen sollten und dass der Test die weitere Integration fördert, wenn die Person schließlich in den Niederlanden lebt. Es wurde nicht ausreichend belegt, warum das Integrationsprogramm in den Niederlanden für Bürger aus gewissen Ländern als ausreichend betrachtet wird und diese nicht zuvor im Herkunftsland einen Test absolvieren müssen.  
 
Das Hauptargument zur Begründung der unterschiedlichen Behandlung lautet, die vom Test ausgenommenen Länder seien den Niederlanden in sozioökonomischer und politischer Hinsicht ähnlich. Die Regierung vertritt den Standpunkt, dass es nicht zu ungewollter Immigration und Problemen in der niederländischen Gesellschaft führe, wenn man Migranten aus westlichen Staaten von diesem Test ausnehme. Dies deutet darauf hin, dass eine Beschränkung der Immigration, besonders aus gewissen Ländern, und nicht nur eine erfolgreiche Integration der eigentliche Grund für die Gesetzgebung war.  
 
„Es wurden keine überzeigenden Belege dafür vorgelegt, dass der Entwicklungsgrad eines Landes ein zuverlässiger Gradmesser für die Integrationskapazität oder Integrationsbereitschaft von potenziellen Immigranten ist”, sagte Cartner.  
Der Test und die finanziellen Lasten, die Familienzusammenführungen einschränken, untergraben das Recht auf Familienleben und die Verpflichtung der Niederlande, allen Einwohnern das Recht auf Heirat und Familiengründung zu erteilen.  
 
Innerhalb der EU gibt es eine wachsende Tendenz, dem Beispiel der Niederlande zu folgen und Zwangsmaßnahmen im Ursprungsland für mögliche Einwanderer einzuführen.  
 
„Die Niederlande haben im Bereich der Integrationsmaßnahmen für andere EU-Staaten Vorbildcharakter”, sagte Cartner. „Einen wirksamen Ansatz für die Integration zu entwickeln, der nicht auf der Basis der Nationalität diskriminiert und nicht gegen die Menschenrechte verstößt, würde auch als positives Beispiel für andere europäische Staaten dienen.“  



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