- Die Rapid Support Forces töteten Anfang November 2023 in West-Darfur Hunderte Zivilist*innen.
- Die jüngste Serie ethnisch motivierter Tötungen durch die Rapid Support Forces in West-Darfur ist offensichtlich eine organisierte Kampagne von Gräueltaten gegen die massalitische Zivilbevölkerung.
- Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sollte dringend die Präsenz der UN im Sudan verstärken, um weitere Gräueltaten zu verhindern und die Zivilbevölkerung in Darfur besser zu schützen.
(Nairobi, 27. November 2023) - Die Rapid Support Forces und mit ihnen verbündete Milizen haben Anfang November 2023 in West-Darfur Hunderte Zivilist*innen getötet, wie Human Rights Watch heute berichtet. Die Truppen plünderten zudem, attackierten Mitglieder der überwiegend massalitischen Gemeinschaft in Ardamata, einem Vorort von El Geneina in West-Darfur, und nahmen vielen von ihnen unrechtmäßig gefangen.
In Anbetracht des Endes der UN-Mission im Sudan und deren Ersetzung durch einen entsprechenden Sondergesandten sollte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dringend prüfen, wie die UN-Präsenz im Sudan verstärkt werden kann, um weitere Gräueltaten zu verhindern und die Zivilbevölkerung in Darfur besser zu schützen.
Zudem sollte der Sicherheitsrat die Überwachung der dortigen Menschenrechtsverletzungen unterstützen und das bestehende Waffenembargo auf das gesamte Land und alle an dem Konflikt beteiligten Parteien ausweiten. Die afrikanischen Mitglieder des Sicherheitsrats, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Regierungen im Rat sollten diese und andere Maßnahmen unterstützen, um sicherzustellen, dass das mächtigste UN-Gremium seiner Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung in West-Darfur und im übrigen Sudan nachkommen kann.
„Die jüngste Angriffsserie der Rapid Support Forces mit gezielten ethnischen Tötungen in West-Darfur ist offensichtlich eine organisierten Kampagne von Gräueltaten gegen die massalitische Zivilbevölkerung“, sagte Mohamed Osman, Sudan-Forscher bei Human Rights Watch. „Der UN-Sicherheitsrat muss anerkennen, wie dringend die Zivilbevölkerung in Darfur Schutz benötigt.“
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) wurden bei den Angriffen Anfang November in Ardamata schätzungsweise 800 Menschen getötet. Menschenrechtsbeobachter*innen vor Ort befragten Überlebende, die in den Tschad geflohen sind, und schätzten die Zahl der Todesopfer, hauptsächlich Zivilist*innen, auf 1.300 bis 2.000, darunter Dutzende, die auf dem Weg in den Tschad getötet wurden. Mindestens 8.000 Menschen sind in den Tschad geflohen, ebenso wie die etwa 450.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, die durch Angriffe in West-Darfur insbesondere zwischen April und Juni vertrieben wurden.
Human Rights Watch befragte 20 Massalit, die zwischen dem 1. und 10. November aus Ardamata in den Osten des Tschad geflohen waren, darunter drei Soldaten der sudanesischen Streitkräfte (SAF). Die Befragten berichteten von Tötungen, Beschuss, unrechtmäßigen Verhaftungen, sexueller Gewalt, Misshandlungen und Plünderungen. Um sie zu schützen, wurden die Namen aller Befragten geändert. Human Rights Watch analysierte zudem acht Videos und Bilder, die in sozialen Medien veröffentlicht wurden und die Festnahme von über 200 Männern und Jungen durch die Rapid Support Forces in Ardamata zeigen. Ein Video zeigt, wie die Kämpfer eine Gruppe von Männern verprügeln.
Human Rights Watch teilte den Rapid Support Forces in einem Brief seine Erkenntnisse und Fragen mit, erhielt aber bis Redaktionsschluss keine Antwort.
Satellitenbilder, die in der ersten Novemberwoche aufgenommen wurden, zeigen die Auswirkungen des Beschusses auf die zivile und militärische Infrastruktur sowie Plünderungen und Brandstiftung im und um das Vertriebenenlager Ardamata. Auf den Satellitenbildern sind auch möglicherweise frische Gräber und Leichen auf der Straße zu erkennen.
Am 15. April brach im Sudan ein Konflikt zwischen den beiden Streitkräften des Landes, den sudanesischen Streitkräften und den Rapid Support Forces, aus. Zwischen April und Juni führten die Rapid Support Forces und verbündete Milizen Angriffe auf die mehrheitlich massalitischen Stadtteile von El Geneina sowie auf andere Städte und Dörfer in der Region durch. Hierbei wurden in großem Umfang Zivilist*innen angegriffen.
Laufende Recherchen von Human Rights Watch und Medienberichte zeigen, dass die Angreifer Tausende Zivilist*innen töteten, ganze Viertel und Orte niederbrannten, an denen Vertriebene in El Geneina Zuflucht gefunden hatten, in großem Stil plünderten und Frauen und Mädchen vergewaltigten. Durch diese Angriffe wurden Hunderttausende Zivilist*innen gewaltsam vertrieben, von denen Tausende in Ardamata Zuflucht suchten. In Ardamata befindet sich sowohl ein Stützpunkt der sudanesischen Streitkräfte als auch ein Lager für Binnenflüchtlinge.
Nach Angaben von Überlebenden und lokalen Beobachter*innen kam es am 1. November erneut zu Kämpfen zwischen den Rapid Support Forces und den sudanesischen Streitkräften. Während der zweitägigen schweren Kämpfe im Anschluss nahmen beide Parteien den Ort unter Beschuss, wobei in einigen Fällen auch Zivilist*innen getroffen wurden. Anwohner*innen berichteten, dass sich einige Massalit-Kämpfer den sudanesischen Streitkräften anschlossen. Nachdem die Rapid Support Forces und die Milizen die Kontrolle über den Stützpunkt der sudanesischen Streitkräfte erlangt hatten, zogen sie ab dem 4. November durch das Vertriebenenlager und andere Wohngebiete, in denen sich hauptsächlich Massalit und andere nicht-arabische Gruppen aufhielten.
Überlebende berichteten, dass die Rapid Support Forces und die verbündeten Gruppen auf Zivilist*innen schossen, als diese flohen, und Menschen in ihren Häusern, Unterkünften und auf der Straße hinrichteten. Überlebende sagten zudem, die Angreifer hätten Massalit beleidigt und in einigen Fällen gesagt, sie wollten „Massalit töten“. Die Angreifer töteten in erster Linie Massalit-Männer, doch zwei Befragte gaben an, dass auch Angehörige nicht-arabischer Gruppen, vor allem ethnische Tama und Eringa, getötet und verletzt wurden.
Am 7. November, so ein 45-jähriger Massalit-Bauer, drangen arabische Milizionäre in Begleitung von Fahrzeugen der Rapid Support Forces in die Unterkunft ein, in dem er im Lager Ardamata Schutz suchte. Die Angreifer brachten sieben Männer zur Vorderseite des Hauses:
„Sie [die Angreifer] forderten mich auf, aus dem Haus zu kommen“, sagte der Mann. „In dem Moment, als ich herauskam, schossen ein oder zwei der Araber aus nächster Nähe auf die sieben Männer. Sie haben sie sofort erschossen. Sie lagen alle auf dem Boden. Einer [der Angreifer] sagte zu mir: ‚Siehst du, wie viele wir getötet haben?‘ Dann forderten sie mich auf, die Stadt zu verlassen.“
Wie bei den Gewaltwellen in El Geneina vor nur fünf Monaten hatten es die Rapid Support Forces und ihre Verbündeten auf prominente Mitglieder der Massalit-Gemeinschaft abgesehen. Unter ihnen war Mohamed Arbab, 85, ein Stammesführer aus der Stadt Misterei. Berichten zufolge wurde er am 4. November zusammen mit seinem Sohn und sieben Enkelkindern getötet.
Von Human Rights Watch überprüfte und analysierte Videos und Bilder, die Anfang November in den sozialen Medien veröffentlicht wurden und zeigen, wie Rapid Support Forces und arabische Milizionäre mehr als 200 Männer und Jungen an drei Orten in Ardamata festhalten.
Eine Serie von fünf Videos, die zwischen dem 4. und 5. November auf Telegram und Facebook hochgeladen wurden, zeigt außerdem, wie eine Gruppe von mindestens 125 Männern und Jungen gezwungen wird, in Richtung des Flughafens von El Geneina, östlich von Ardamata, zu laufen. Mehrere der Männer sind offenbar verwundet, einige hinken, eine Person wird von vier anderen Männern getragen. Human Rights Watch konnte nichts über den Verbleib dieser Menschen herausfinden.
Die Angreifer plünderten Häuser und raubten Menschen auf der Flucht aus, schlugen und misshandelten sie. Auf den Satellitenbildern des Lagers Ardamata, die zwischen dem 5. und 7. November aufgenommen wurden, sind Anzeichen von Plünderungen und Brandstiftung zu erkennen, wobei ein Feuer rund um den Friedhof des Lagers zu sehen ist.
Videos vom 4. November, die vom offiziellen X-Account (ehemals Twitter) der Rapid Support Forces stammen und von Human Rights Watch geolokalisiert wurden, zeigen Abdel Raheem Hamdan Dagalo, den stellvertretenden Kommandanten der Rapid Support Forces und Bruder des Anführers der Rapid Support Forces, Mohamed Hamdan Dagalo „Hemedti“, in Ardamata, wie er mit seinen Truppen die Übernahme des Stützpunkts der sudanesischen Streitkräfte feiert, zusammen mit General Abdel Rahman Joma'a, dem Kommandanten der Rapid Support Forces in West-Darfur. Nach der Übernahme des Stützpunktes gab Abdel Raheem bekannt, dass Joma'a zum Kommandeur der 15. Militärdivision ernannt wurde.
Nach internationalem Recht verstoßen vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung, einschließlich außergerichtlicher Tötungen, der Misshandlung von Zivilist*innen und all jenen, die nicht am Kampfgeschehen beteiligt sind, wie Gefangene und Verwundete, sowie die gewaltsame Vertreibung gegen das Kriegsrecht und können als Kriegsverbrechen geahndet werden. Mord, Vergewaltigung, Folter, Deportation, Verfolgung und andere Straftaten, die im Rahmen eines umfangreichen oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung auf der Grundlage einer Regierungs- oder Organisationspolitik begangen werden, stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Am 16. November ersuchte der Sudan die UNO, das Mandat der politischen Mission im Land zu beenden. Am darauffolgenden Tag ernannte der UN-Generalsekretär einen Gesandten für den Sudan, was die Kontrolle der UN über die Situation erheblich einschränkte. Der UN-Sicherheitsrat und andere wichtige Akteure sollten alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, um weitere Gräueltaten zu verhindern und die Zivilbevölkerung zu schützen. Als ersten Schritt sollten die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates einen Besuch des Rates im Osten des Tschad organisieren, um sich mit Überlebenden der aktuellen Gräueltaten in Darfur zu treffen, so Human Rights Watch.
Darüber hinaus sollten die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und andere betroffene Regierungen Sanktionen gegen alle verhängen, die das seit 2004 bestehende Waffenembargo des Sicherheitsrates gegen Darfur verletzen. Der Sicherheitsrat sollte das Embargo auf das gesamte Land ausweiten, so Human Rights Watch. Zudem sollte er auch die laufenden Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu den Verbrechen in Darfur und den Unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für den Sudan unterstützen, indem er sich an diese Gremien wendet, um zu sehen, welche Hilfe sie leisten können.
Die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die Europäische Union, die Afrikanische Union, die Intergovernmental Authority on Development und andere betroffene Regierungen sollten unverzüglich gezielte Sanktionen gegen Abdel Raheem und Abdel Rahman verhängen, die ranghöchsten Befehlshaber der Rapid Support Forces, die offenbar bei den Angriffen in Ardamata anwesend waren. Sie sollten auch Hemedti, den Anführer der Rapid Support Forces, wegen schwerer Übergriffe durch die ihm unterstellten Kräfte bestrafen.
„Regionale und internationale Akteure haben die Warnungen von Überlebenden monatelang ignoriert, dass weitere Gräueltaten in West-Darfur drohen“, sagte Osman. „Der Sicherheitsrat muss konkrete Maßnahmen ergreifen, um auf den Ernst der Lage zu reagieren, Sanktionen gegen die wichtigsten Befehlshaber verhängen, die Freilassung der unrechtmäßig Gefangenen erreichen und den Kampf gegen Straflosigkeit in der Region unterstützen.“