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Iran: Folter zur Unterdrückung von regierungskritischen Stimmen

(Brüssel, 7. Juni 2004) – Die iranische Regierung hat ihre Folterkampagne, willkürlichen Festnahmen und die Verhaftungen von politischen Kritikern verstärkt, sagte Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Das scheidende reformistische Parlament des Iran hat im Mai ein Gesetz verabschiedet, das Folter verbietet. Ohne effektive Umsetzung bleibt dieses Gesetz jedoch eine leere Geste.

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Der 73-seitige Bericht: „Like the Dead in Their Coffins: Torture, Detention, and the Crushing of Dissent in Iran“, bietet die erste umfassende Untersuchung der Behandlung von politischen Gefangenen in Teherans Evin Gefängnis und geheimen Gefängnissen rund um die Hauptstadt, seit die Regierung im Jahr 2000 ihre Vorgangsweise verschärft hat. Human Rights Watch hat von systematischen Übergriffen gegen politische Gefangene berichtet, wie z. B. willkürliche Festnahmen, Inhaftierungen ohne Verfahren, Folter zur Erzwingung von Geständnissen, andauernde Einzelhaft und physische sowie psychische Misshandlungen.  
 
„Die Behauptungen, dass Reformen im Iran der Folter ein Ende bereitet haben, entsprechen nicht der Wahrheit,“ sagte Sarah Leah Whitson, Direktorin der Mittlerer Osten- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Journalisten, Intellektuelle und Aktivisten fürchten sich mehr denn je, regierungskritische Meinungen zu äußern.“  
 
Der Einsatz dieser harschen Methoden von Seiten der iranischen Regierung hat die politische Opposition und die unabhängigen Medien weitgehend zum Verstummen gebracht. Angesichts des in den letzten vier Jahren ansteigenden politischen Drucks, Reformen durchzuführen, hat die Regierung ihre Kampagne gegen Dissidenten verschärft. Bis Juni hat die Regierung praktisch alle unabhängigen Zeitungen geschlossen, einige wichtige Journalisten und Schriftsteller sind aus dem Land geflohen und viele prominente Schriftsteller und Aktivisten wurden verhaftet. Darüber hinaus wurden unzählige Aktivisten unter den Studenten so sehr eingeschüchtert, dass sie ihr Engagement in friedlichen politischen Aktivitäten beendeten.  
 
Während das Schließen von Zeitungen im Iran viel Aufmerksamkeit in den Medien erregt hat, wurde die Geschichte der Journalisten, Intellektuellen und Demonstranten, die diese Verhaftungen ertragen mussten, nie zur Gänze erzählt.  
 
Der Bericht dokumentiert den systematischen Einsatz von andauernder Einzelhaft, um den Willen der Regimekritiker zu brechen und Geständnisse zu erzwingen. Für diesen Bericht befragte Personen, darunter einige Schriftsteller und Journalisten, schilderten Human Rights Watch die brutalen Verhöre, in denen ihnen die Augen verbunden wurden und in denen sie physisch bedroht und zum Widerruf ihrer politischen Ansichten gezwungen wurden. Ehemalige Gefangene beschrieben auch die Zellen für die Einzelhaft im Untergeschoß, wo sie wochenlang ohne jeglichen Kontakt zu Mitmenschen festgehalten wurden sowie die Drohungen von Richtern, dass sie auf unbestimmte Zeit in Einzelhaft gehalten würden, wenn sie kein Geständnis ablegen würden.  
 
Studentenaktivisten berichteten Human Rights Watch von physischen Misshandlungen durch Polizisten in Zivil und Geheimdienstmitarbeiter. Der Bericht schildert Fälle, in denen die Gefangenen verprügelt, lange in kauernden Positionen eingesperrt, mit Militärstiefeln getreten, an Armen oder Beinen aufgehängt wurden oder in denen ihnen mit Hinrichtung gedroht wurde, wenn sie sich weigerten, ein Geständnis abzulegen.  
 
Der Bericht beschreibt darüber hinaus die in Zivil auftretenden Geheimdienstbehörden, die für die Justiz arbeiten und direkt für die Festnahmen und die Folter der Regimekritiker verantwortlich sind. Diese Organe arbeiten oft außerhalb oder parallel zur etablierten Verwaltungsstruktur der Regierung und unterstehen der religiösen Führung des Irans. Die Angehörigen dieser „Parallelgewalt“, die von ehemaligen Gefangene als Fußsoldaten in der Kampagne gegen Andersdenkende beschrieben werden, sind für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen worden.  
 
Human Rights Watch berichtete von der Teilnahme von Richtern in Verhören – oft in geheimen Gefängnissen -, wo diese den durch Misshandlung und Nötigung geprägten Befragungen beiwohnten, auf Gefangene einwirkten und sie dazu drängten, falsche Geständnisse zu unterschreiben und sogar selbst Drohungen aussprachen. Eine Reihe von Vertretern der gerichtlichen Instanz, insbesondere Generalstaatsanwalt Said Mortazavi, haben ihre Pflicht, Gerechtigkeit walten zu lassen, offenkundig aufgegeben und sind stattdessen dafür bekannt, Folter von politischen Gefangenen anzuordnen.  
 
Einige der ehemaligen Gefangenen berichteten, dass sie rauer behandelt wurden, nachdem sie den Beistand eines Anwaltes forderten oder nach dem rechtlichen Status ihrer Fälle fragten.  
 
Der Bericht ruft die Europäische Union dazu auf, verstärkten Druck auf den Iran auszuüben, damit dieser entschlossene Schritte unternimmt, um der Folter und den Misshandlungen in den Gefängnissen ein Ende zu bereiten und die Meinungsfreiheit wiederherzustellen. Der andauernde Menschenrechtsdialog zwischen der EU und dem Iran wird am 14. und 15. Juni in Teheran fortgesetzt. Dieser Dialog befindet sich in seinem dritten Jahr und hat bisher zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt. Die Menschenrechtssituation im Iran hat sich seit der Aufnahme des Dialogs sogar deutlich verschlechtert.  
 
„Die schwache Reaktion der Europäischen Union auf die andauernden Menschenrechtsverletzungen im Iran ist zutiefst beunruhigend,“ meinte Whitson. „Es ist an der Zeit, dass die Europäische Union die Verfolgungen und die Folter im Iran verurteilt und wahre Maßstäbe setzt, an denen sich die iranische Regierung orientieren muss.“  
 
Human Rights Watch forderte die Regierung des Irans dazu auf, alle politischen Gefangenen freizulassen und jegliche Folter sofort wirksam zu unterbinden.  
 
Hintergrund  
 
Der verschärfte Regierungskurs wurde eingeschlagen, nachdem der Oberste Führer Ayatollah Khamenei im April 2000 eine Rede hielt, in der er die unabhängige Presse als „Hochburg der Feinde“ bezeichnete. In den Jahren 2002 und 2003 richtete sich die Unterdrückung seitens der iranischen Regierung hauptsächlich gegen politische Aktivisten. Die Führung des Iran reagierte mit der Verhaftung von mehreren Tausenden Menschen auf eine Reihe von Studentenprotesten. Die Kampagne der Regierung förderte sich selbst: je mehr Zeitungen geschlossen wurden, desto weniger Möglichkeiten gab es, die Übergriffe der Regierung an die Öffentlichkeit zu bringen. Der schnell schrumpfende Umfang von öffentlich zugänglicher Informationen über die Methoden der Regierung ermöglichten es der iranischen Regierung, mit noch freierer Hand Misshandlungen auszuführen und die Regierung nützte die mangelnde Sicherheit voll aus.  
 
Zeugenaussagen aus dem Bericht „Like the Dead in Their Coffins“  
 
Hossein T., iranischer Student und Aktivist  
Sie führten mich in den Innenhof in Evin, wo die Hinrichtungen ausgeführt wurden. Sie fesselten meine Füße. Sie nahmen meine Augenbinde ab. Ein Mann sagte: „Sag mir, warum du gelogen hast. Sag mir, was du getan hast.“ Sie hängten mich an meinen Füßen auf und stülpten einen Sack über meinen Kopf. Sie traten und schlugen mich 30 Minuten lang, glaube ich. Sie schlugen auf mein Kinn und die Haut platzte auf. Das Blut begann den Sack, der über meinem Kopf zugeschnürt war, zu füllen. Das Blut begann, auf den Boden zu tropfen. Da hörten sie auf.  
 
Das zweite Mal, als sie mich dorthin brachten, hängten sie mich an den Händen auf. Sie schlugen mit einem Knüppel auf meinen Körper ein. Sie brachen meine Hand und ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, sagten sie: „Wenn du zugibst, dass du gelogen hast, hören wir auf.“ Ich konnte nicht sprechen. Es war nicht, weil ich mutig war, dass ich nicht gestanden habe, es war, weil ich nicht sprechen konnte.  
 
Massoud B., iranischer Journalist und Schriftsteller  
 
In den ersten paar Stunden ist es sehr schwierig. Du warst in deinem ganzen Leben nie so nahe an Wänden. Du willst dich nicht hinsetzen, weil es Kalkstein ist und du bist es nicht gewöhnt, auf Kalkstein zu sitzen. Du stehst. Du gehst. Dir wird langsam schwindelig. Nachdem dir schwindelig geworden ist, lehnst du dich gegen die Wand. Nach drei oder vier Stunden werden deine Beine müde und du setzt dich hin. Und dann schreist du und keiner hört dich.  
 
Und du fühlst dich, als würden sie dich festhalten, als würden sie dich körperlich festhalten. Dein Haar und deine Nägel wachsen schneller. Viele der Gefangenen sagen, dass man in Einzelhaft wie „die Toten in ihren Särgen“ ist, weil wir gehört haben, dass die Nägel der Toten in ihren Särgen weiter wachsen. Selbst wenn sie mir etwas zu lesen gegeben hätten - sie hatten mir meine Brille weggenommen. Selbst wenn ich meine Brille gehabt hätte - es gab nicht genug Licht.