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Großbritannien: Gefährliche Haltung zur Folter

(London, 2. November 2006) – Die britische Regierung stellt sich weltweit als Gegner der Folter dar. Human Rights Watch dokumentiert in einem heute veröffentlichten Hintergrundbericht, dass die Politik Großbritanniens in Wirklichkeit davon erheblich abweicht.

" Die Regierung behauptet, Folter zu bekämpfen. Doch sie versucht gleichzeitig, das weltweite Folterverbot zu untergraben. "
Benjamin Ward  
stellvertretender Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien
  

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Zu diesem Thema

Den Human Rights Watch Hintergrundbericht, „Dangerous Ambivalence: UK Policy on Torture since 9/11“
http://www.hrw.org/backgrounder/eca/uk1106/

Still at Risk: Diplomatic Assurances No Safeguard Against Torture
http://hrw.org/reports/2005/eca0405/

Neither Just Nor Effective
http://hrw.org/backgrounder/eca/uk/index.htm

Der 45-seitige Bericht mit dem Titel „Dangerous Ambivalence: UK Policy on Torture since 9/11“ zeigt, wie die britische Regierung das Folterverbot untergräbt. Zugleich behauptet sie jedoch, Folter weltweit zu bekämpfen. Das Völkerrecht verbietet Folter und Abschiebungen in Länder, in denen Folter droht. Es erlaubt keinerlei Ausnahmen, selbst im Kriegs- oder Ausnahmezustand.  
 
„Großbritannien kann nicht beides auf einmal haben“, sagte Benjamin Ward, stellvertretender Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Die Regierung behauptet, Folter zu bekämpfen. Doch sie versucht gleichzeitig, das weltweite Folterverbot zu untergraben.“  
 
Berichten zufolge bereitet die britische Regierung einen Gesetzentwurf zum Thema Folter vor, der in der Thronrede der Königin vor dem Parlament am 15. November bekannt gegeben werden soll. Die Gesetzesänderung würde der Regierung und den Gerichten ermöglichen, das Risiko der Anwendung von Folter gegen nationale Sicherheitskriterien abzuwägen. Auch würde die Abschiebung von Terrorverdächtigen in Länder erlaubt, wo ihnen Folter droht. Wird die Vorlage verabschiedet, so wäre dies ein Verstoß gegen internationales Recht.  
 
Auch will die britische Regierung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dazu bewegen, das Folterverbot zu lockern. Sie schaltete sich in das Verfahren gegen den Algerier Mohammed Ramzy vor dem Gericht in Straßburg ein und forderte die Aufhebung des Urteils im Fall Chahal von 1996 – einem Schlüsselurteil, welches das absolute Folterverbot bestätigte. London hat Litauen, die Slowakei und Portugal dazu gebracht, diese Forderungen zu unterstützen. „Die Verteidiger des Chahal-Urteils kapieren es einfach nicht“, behauptet der britische Innenminister John Reid, während er selbst offenbar nicht einsieht, wie viel in dieser Frage auf dem Spiel steht.  
 
Der Hintergrundbericht von Human Rights Watch legt dar, welchen Preis man bezahlen muss, falls die vereinbarten Regeln gegen Folter aufgegeben werden. Eine Tolerierung von Folter spielt Terroristen in die Hände, da dadurch die Gesellschaft geschwächt und gespaltet wird. Sie stößt britische Muslime vor den Kopf, deren Kooperation mit Polizei und Geheimdiensten für die erfolgreiche Terrorismusbekämpfung eine Schlüsselrolle spielt. Darüber hinaus wird das Ansehen Großbritanniens im In- und Ausland beschädigt.  
 
„Der Folter Tür und Tor zu öffnen, dies wird Großbritannien nicht sicherer machen”, sagte Ward. „Die effektivste Antwort auf den Terrorismus ist gute Polizei- und Geheimdienstarbeit und nicht, zentrale Werte aufzugeben.“  
 
Im vergangenen Jahr stimmten die Law Lords, das höchste britische Gericht, einstimmig gegen die Verwendung von Beweisen, die unter Folter gewonnen wurden. Lord Bingham, der oberste Lordrichter, sagte daraufhin, er sei „erschrocken, sogar ein wenig bestürzt“, dass die Regierung diese Frage überhaupt aufwerfen konnte. Die UN-Konvention gegen Folter, die für Großbritannien bindend ist, verbietet den Gebrauch von durch Folter erworbenen Beweismaterials ausdrücklich.  
 
Der Bericht dokumentiert auch, wie die britische Regierung Vereinbarungen mit Ländern darunter Jordanien, Libyen und dem Libanon abzuschließen versucht, die beim Thema Folter eine schlechte Bilanz aufweisen. Sie will sich so die Möglichkeit schaffen, Terrorverdächtige in Länder abzuschieben, wo ihnen Folter droht, solange die Empfängerländer eine menschenwürdige Behandlung zusichern. Solche als diplomatische Zusicherungen bezeichneten Versprechen schützen nicht vor Misshandlung, selbst wenn es nachträgliche Kontrollen gibt.  
 
Die britische Regierung steht weiter hinter dieser Politik, trotz aufkommender Kritik wie etwa des UN-Sonderberichterstatters zum Thema Folter, Manfred Nowak, und des Menschenrechtsausschusses des britischen Parlaments. Der Ausschuss stellte im Mai 2006 fest, dass die Regierungspolitik „sehr leicht internationale Verpflichtungen untergraben könnte und - falls sie praktisch umgesetzt würde - eine erhebliche Gefahr darstellen würde, dass tatsächlich Menschen gefoltert werden.“  
 
„Wenn es um Folter geht, sind diplomatische Zusicherungen einfach wirkungslos”, sagte Ward. „Sie in einer gegenseitigen Absichtserklärung zu verpacken und nachträglich zu überwachen, ändert daran nichts.“  
 
In dem Bericht wird auch dokumentiert, wie die britische Regierung Verstöße der USA gegen das absolute Folterverbot gedeckt hat. Dazu gehören die anhaltenden Beteuerungen ungeachtet aller Gegenbeweise, die Politik der Regierung Bush sei nicht für Misshandlungen verantwortlich. Dennoch hat die Regierung anerkannt, dass „wenn Regierungen Folter dulden, sie ihre Legitimation verlieren und Terroristen auf den Plan rufen können.“  
 
Einige britische Minister argumentieren bisweilen, ihnen bliebe angesichts der unvermeidlichen Schwierigkeiten bei Ermittlungen gegen Terroristen nichts anderes übrig, als diese abzuschieben, egal ob ihnen Folter drohe oder nicht. Um die Ermittlungen zu erleichtern, könnten jedoch Beweismittel aus Telefonabhörungen vor Gericht verwendet werden, wie es der britische Polizeichef und einige Parlamentsausschüsse vorgeschlagen haben. Doch die Regierung lehnt dies ab. Großbritannien ist einer von nur zwei westlichen Staaten, die noch ein absolutes Verbot der Verwendung derartiger Beweismittel vor Gericht aufrechterhalten.  
 
Die britische Regierung war einst führend im weltweiten Kampf gegen Folter. Nach wie vor ermutigt sie andere Regierungen dazu, dem Fakultativprotokoll der UN-Konvention gegen Folter beizutreten. Human Rights Watch fordert die britische Regierung dazu auf, wieder eine führende Rolle bei der Bekämpfung der Folter zu spielen.  
 
„Es ist für Großbritannien noch nicht zu spät, einen Kurswechsel einzuleiten”, sagt Ward. „Sollte es jedoch nicht dazu kommen, so wird der Schaden unberechenbar sein.“  

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