Pressemitteilungen
FREI    HRW Email Liste  
Brief an den usbekischen Präsidenten Islam Karimow wegen des Falles von Ruslan Scharipow
12. August 2003

Präsident Islam Karimow
Usbekische Republik
Dom Pravitelstva
Taschkent 70000
Usbekistan

Sehr geehrter Herr Präsident Karimow,

wir schreiben Ihnen, um unseren starken Bedenken bezüglich der Verhaftung und des Verfahrens gegen den Menschenrechtsverteidiger und Journalisten Ruslan Scharipow Ausdruck zu verleihen. Seine Verhaftung scheint politisch motiviert, da es die usbekischen Behörden in der Vergangenheit auf Scharipow, wegen dessen offener Kritik an der Politik der usbekischen Regierung, abgesehen hatten. Wir sind außerdem zutiefst besorgt, dass er Opfer polizeilicher Folter geworden sein könnte, die ihn zu einem Geständnis zwingen sollte.


Zu diesem Thema

Take Action Now
Was Sie tun können

Usbekistan: Menschenrechtsverteidiger wegen homosexueller Handlungen verhaftet
29. Mai 2003    Pressemitteilung

Persecution of Human Rights Defenders in Uzbekistan
HRW Briefing Paper, May 1, 2003


Wie Sie wissen ist Human Rights Watch eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, die ausschließlich durch Spenden von Privatleuten sowie Stiftungen finanziert wird. Human Rights Watch ist eine gut etablierte unparteiische Organisation, die Menschenrechtsverstöße ermittelt und dokumentiert. Wir haben die Menschenrechtssituation in Zentralasien seit den frühen 90iger Jahren überwacht und seit 1996 einen Repräsentanten in Taschkent platziert.

Am 26. Mai 2003 wurde Ruslan Scharipow, ein Menschenrechtsaktivist und unabhängiger Journalist, dessen Artikel um Aufmerksamkeit für die herrschende Korruption und Menschenrechtsverstöße in Usbekistan warben, verhaftet. Am 23. Juli wurde sein Verfahren - das der Richter für nichtöffentlich erklärt hatte - im Mirzo-Ulugbek Bezirksgericht in Taschkent eröffnet. Scharipow ist angeklagt worden, gegen Artikel 120 des Strafgesetzbuches der Republik Usbekistan, der "besakalbazlyk" (homosexuelles Verhalten, definiert als "im gegenseitigen Einvernehmen stattfindende Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse eines Mannes mit einem anderen Mann") mit bis zu drei Jahren Gefängnis unter Strafe stellt, verstoßen zu haben. Nach der Inhaftierung klagte die Polizei Scharipow zusätzlich an, gegen Artikel 127 (Anstiften von Minderjährigen zu unsozialem Verhalten) und Artikel 128 (Sexueller Kontakt zu Minderjährigen) verstoßen zu haben. Sollte Scharipow wegen aller drei Anklagepunkte verurteilt werden, sieht er einer Haftstrafe von bis zu 18 Jahren entgegen. Scharipow hatte ursprünglich alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe von sich gewiesen und erklärt, sie seien formuliert worden, um ihn zum Schweigen zu bringen und sein Engagement in Sachen Menschenrechte zu stoppen.

Ein Repräsentant von Human Rights Watch hat Scharipow in Gegenwart von Polizeibeamten nur wenige Tage nach seiner Verhaftung in der Haftanstalt besucht. Dabei sagte Scharipow Human Rights Watch gegenüber, dass Polizisten ihn geschlagen und gedroht hätten, ihn mit einer Flasche zu vergewaltigen. In einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief hat Scharipow außerdem mitgeteilt, dass die Polizei ihm angedroht habe, ihn zu foltern, um ein Geständnis zu erzwingen.

Eine besonders beunruhigende Entwicklung stellte die Erklärung Scharipows vom 8. August 2003 dar, in der er, nachdem er anfänglich seine Unschuld beteuert hatte, dem Gericht unerwartet seine Absicht mitteilte, sich bezüglich der Vorwürfe schuldig zu bekennen und um die Vergebung des Präsidenten zu bitten. Er sagte dort außerdem, dass er auf sein Recht auf einen Anwalt verzichte und bat, dass seine Mutter - die einzige zugelassene Prozessbeobachterin - vom weiteren Verlauf des Verfahrens ausgeschlossen werde. Im Bewusstsein um die vorangegangene Androhung von Folter gegen Scharipow und darüber, dass seine kürzlichen Erklärungen im Gerichtssaal seinem eigenen Interesse, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen, widersprechen, ist Human Rights Watch tief besorgt darüber, dass Scharipow bereits gefoltert worden und gezwungen worden ist, ein Geständnis abzugeben und auf seine Rechte zu verzichten. Wir sind außerdem besorgt, dass Scharipow in der Haftanstalt weiterhin und bis zum heutigen Tage dem hohen Risiko ausgesetzt ist, psychisch und physisch missbraucht zu werden.

Wir bitten die usbekische Regierung dringend, das politisch motivierte Verfahren gegen Ruslan Scharipow einzustellen, die Vorwürfe unter Artikel 120 aufzugeben und ihn freizulassen, bis eine unparteiische, unabhängige Überprüfung seines Falles stattgefunden hat. Human Rights Watch verurteilt seine Verhaftung als eine Bemühung, die Meinungsfreiheit in Usbekistan zu unterdrücken und als eine ungeheuerliche Diskriminierung und Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung.

Zusätzlich und als Sache äußerster Dringlichkeit fordern wir die usbekische Regierung dazu auf, die diskriminierenden Gesetze, die männliche Homosexualität verbieten, zu reformieren. Artikel 120 des usbekischen Strafgesetzbuches ist abgeleitet von einer Vorschrift aus Zeiten der Sowjetunion unter Joseph Stalin, die männliches homosexuelles Verhalten verbot. Die meisten ehemaligen Sowjet-Staaten haben sich dieser Vorschrift längst entledigt. Nur Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan halten bekanntlich an dieser Vorschrift fest. Das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen, das die Einhaltung des Zivilpaktes (ICCPR) überwacht, gibt an, dass Gesetze, die von Erwachsenen einvernehmlich vorgenommene homosexuelle Handlungen unter Strafe stellen, gegen den Zivilpakt verstoßen. Das Komitee gibt weiterhin an, dass solche Gesetze die im ICCPR verankerten Garantien des Gleichheitsgrundsatzes und des Rechts auf Privatsphäre verletzen: Die "sexuelle Orientierung" sei durch Artikel 2 und 26 ICCPR vor Diskriminierung geschützt. Wie Sie wissen, hat Usbekistan den Zivilpakt 1996 ratifiziert.

Bei einigen Gelegenheiten in der Vergangenheit hat die usbekische Regierung Justizirrtümer wiedergutgemacht, wenn Menschenrechtsverteidiger fälschlicherweise verfolgt worden waren. Äußerst bemerkenswert waren die Freilassungen der Menschenrechtsverteidiger Mahbuba Kosymova und Ismail Adylow, die zuvor ein Jahr, beziehungsweise anderthalb Jahre im Gefängnis verbracht hatten. Wir erwarten und hoffen ernsthaft, dass Ruslan Scharipow aufgrund der ungerechtfertigten Anschuldigungen nicht solche Ungerechtigkeit widerfährt. Human Rights Watch erwartet eine schnelle Entscheidung in diesem Fall und die Abschaffung des Artikels 120 des Strafgesetzbuches.

Vielen Dank schon im voraus für Ihre Aufmerksamkeit, die Sie den in diesem Brief geäußerten Bedenken widmen.

Hochachtungsvoll

Elizabeth Andersen
Direktorin
Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch