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Trotz diplomatischer Zusicherung: Terrorismusverdächtigen droht Folter bei Abschiebung

(New York, 15. April 2004) – Human Rights Watch warnte heute in einem Bericht davor, mutmaßliche Terroristen in ein Land auszuweisen, in dem ihnen Folter und Misshandlung drohen. Einem Staat, in dem Folter gang und gäbe ist, könne man unmöglich abnehmen, dass ein Verdächtiger fair behandelt werde. Regierungen, die Menschen auf Grund solcher (als „diplomatische Zusicherung“ bekannten) Versprechungen ausliefern, verstoßen gegen das absolute Folterverbot und damit gegen ein fundamentales Völkerrechtsprinzip.

" Ein Mensch darf nicht an einen Staat ausgeliefert werden, wenn nicht zweifelsfrei feststeht, dass ihm dort keine Folter droht. Staaten dürfen sich nicht einfach abwenden, sobald jemand des Terrorismus verdächtigt wird - und den Verdächtigen dann auf Grund unzuverlässiger Versprechungen an Staaten ausliefern, in denen Folter an der Tagesordnung ist. "
Rachel Denber  
amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch
  

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In dem Bericht: “Empty Promises:” Diplomatic Assurances No Safeguard against Torture”, werden Fälle dokumentiert, in denen Staaten Verdächtige auf Grund solcher formeller Versprechungen entweder ausgewiesen haben oder auszuweisen planten und in denen zu befürchten ist, dass die Betroffenen nach der Rückführung doch gefoltert oder misshandelt wurden.  
 
“Ein Mensch darf nicht an einen Staat ausgeliefert werden, wenn nicht zweifelsfrei feststeht, dass ihm dort keine Folter droht,“ verlangt Rachel Denber, amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. „Staaten dürfen sich nicht einfach abwenden, sobald jemand des Terrorismus verdächtigt wird – und den Verdächtigen dann auf Grund unzuverlässiger Versprechungen an Staaten ausliefern, in denen Folter an der Tagesordnung ist.“  
 
Deutschland, Georgien, Großbritannien, Kanada, Österreich, Schweden, die Türkei und die USA ziehen alle ernsthaft die Rückführung von Terroristen oder sonstiger, die nationale Sicherheit bedrohender Verdächtiger in Betracht – unter anderem nach Ägypten, den Philippinen, nach Russland, Sri Lanka, Syrien und Usbekistan, alles Länder, in denen oft und systematisch gefoltert wird. Human Rights Watch zufolge wurden einige Menschen nach ihrer Rückführung gefoltert und ernsthaft misshandelt. Und für viele mehr stehe das gleiche Schicksal bevor, so Human Rights Watch.  
 
Trotz Vorlage diplomatischer Zusicherungen zur Sicherheit der Betroffenen wurde die Auslieferung von Verdächtigen in einigen Fällen in Europa und Kanada gerichtlich gestoppt. In einigen Fällen entschieden die Gerichte, dass die Zusicherungen den Schutz gegen Folter nur unzureichend gewährleisteten. In anderen Fällen steht eine endgültige Entscheidung noch aus.  
 
In Auslieferungsfällen von mutmaßlichen Tätern an die USA, verlassen sich die EU-Staaten seit vielen Jahren auf diplomatische Zusicherungen der Vereinigten Staaten, man werde gegen den Betroffenen nicht die Todesstrafe verhängen. Mit der Ausweitung diplomatischer Zusicherungen auf einen Schutz gegen Folter, stößt man jedoch auf tiefgreifende Probleme, die diese international ausgeübte Praxis mit sich bringt.  
 
“Das Problem ist,” so Denber, “dass die Todesstrafe, so verwerflich sie ist, sie doch zumindest in den praktizierenden Staaten legal ist und in der Regel öffentlich vollstreckt wird. Folter jedoch ist überall illegal und findet heimlich hinter verschlossenen Türen statt. Regierungen, die Folter in ihrem Land tolerieren oder veranlassen, lügen natürlich, ob sie Menschen tatsächlich foltern oder nicht. In manchen Fällen ist es auch so, dass die Regierung selbst die Sicherheit ihrer Gefängnisinsassen gar nicht garantieren kann, weil sie zu wenig Kontrolle über das System hat“.  
 
Ein Beispiel aus dem 39-seitigen Bericht untersucht die Vorfälle, die sich im Zusammenhang mit der Rückführung von zwei ägyptischen Asylbewerbern durch die schwedische Regierung im Dezember 2001 abspielten. Die Rückführung erfolgte, nachdem die ägyptische Regierung zugesichert hatte, die Männer weder der Folter noch der Todesstrafe auszusetzen, und ihnen eine faire Verhandlung zu garantieren.  
 
Nach ihrer Rückkehr wurden die Betroffenen dann jedoch fünf Wochen lang in Isolationshaft gehalten. Als schwedische Diplomaten die Männer nach einiger Zeit mehrmals aufsuchten, wurde ihnen nie gestattet, die Häftlinge alleine zu treffen; bei manchen Besuchen hielten sich bis zu zehn Gefängnisbeamte mit im Raum auf. Verwandte und andere Leute, die mit den Männern in Kontakt stehen, versicherten glaubwürdig, dass diese gefoltert und misshandelt wurden.  
 
Auch das Versprechen auf eine faire Verhandlung hat die ägyptische Regierung nicht gehalten. Einer der Männer wurde im Oktober 2003 entlassen ohne jemals angeklagt worden zu sein, der andere befindet sich noch immer in Haft, und zwar nur auf Grund eines 1999 in Abwesenheit verkündeten Urteils eines Militärgerichts. Vor kurzen wurde ein Wiederaufnahmeverfahren angeordnet. Dieses wird jedoch abermals vor einem Militärgericht stattfinden, von dem ein faires Verfahren nicht zu erwarten ist.  
 
In einem anderen Fall geht es um den von den USA festgenommenen Maher Arar, der sowohl die kanadische als auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzt. Arar wurde von den US-Behörden über Jordanien nach Syrien abgeschoben, obwohl er seine Furcht zum Ausdruck brachte, in Syrien gefoltert zu werden und er bat, nach Kanada gebracht zu werden. Vor der Übergabe holte sich die US-Regierung eine diplomatische Zusicherung aus Syrien, dass Arar nicht gefoltert werden würde. Als Arar dann zehn Monate später, ohne jemals angeklagt worden zu sein, aus dem syrischen Gefängnis entlassen wurde, erklärte er, er sei während seiner Haft gefoltert worden und zwar wiederholt, oft mit elektrischen Kabeln.  
 
„Staaten müssen einen Weg finden, mit dem Terrorismus fertig zu werden, ohne dabei ihre Grundsatzverpflichtungen zu verletzen,” fordert Denber. „Und dazu gehört auch die Pflicht, niemanden der Folter auszusetzen. Jeder weiß, dass in Syrien gefoltert wird und deshalb kann man auch nach diplomatischen Zusicherungen niemals wirklich annehmen, dass ein Terrorismusverdächtiger davor sicher ist. Solche Fälle sehen oft schwer danach aus, als würden manche Länder ihre Verdächtigen vorsätzlich mit dem Bewusstsein ausliefern, dass Informationen und Geständnisse mittels Folter aus den Menschen herausgepresst werden wird.“  
 
Das Verbot der Auslieferung von Menschen an Staaten, in denen ihnen Folter oder Misshandlung droht ist ein in zahlreichen völkerrechtlichen Übereinkommen verankertes fundamentales Völkerrechtsprinzip. Dieses Grundprinzip ist absolut und lässt keine Ausnahme zu, ungeachtet der Art oder Schwere des Verbrechens dessen ein Betroffener angeklagt ist.  
 
Der Bericht „Empty Promises“ geht auf die Ansichten des UN-Sonderberichterstatters über Folter, auf die des Ausschusses gegen Folter und die des Menschenrechtsausschusses zur Praxis der diplomatischen Zusicherungen ein. Er zeigt auch in welcher Weise diplomatische Zusicherungen in Gesetzen und Politik der EU verankert sind, indem er unter anderem – in Fällen, bei denen diplomatische Zusicherungen mit im Spiel waren – kritisch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der Gerichte der einzelnen Mitgliedsstaaten untersucht.  
 
In dem Bericht wird an die Regierungen appelliert, dass diplomatische Zusicherungen auf keinen Fall als Schlupfloch betrachtet werden dürfen, durch das man sich über das uneingeschränkte Auslieferungsverbot in Länder, in denen bekanntermaßen gefoltert wird, hinwegsetzen kann.  
Human Rights Watch fordert auch, dass eine diplomatische Zusicherung als unzuverlässig und unannehmbar gilt, wenn  
 
• in dem betreffenden Staat Folter weit verbreitet ist und systematisch erfolgt  
• eine Regierung in ihrem Land über zu wenig Autorität verfügt, um Folter wirksam zu verhindern.  
• der Auszuliefernde einer im Zielland staatlich verfolgten, definierbaren Gruppe angehört oder ihr nahe steht.  
 
Human Rights Watch fordert den UN-Sonderberichterstatter über Folter auf, den Regierungen hinsichtlich des Gebrauchs von diplomatischen Zusicherungen klare Regeln und Kriterien vorzulegen, damit sichergestellt ist, dass kein Staat sich über seine uneingeschränkte Verpflichtung hinwegsetzen kann, einen Menschen weder Folter noch anderer Form von Misshandlung auszusetzen.

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