HUMAN RIGHTS
WATCH Pressemitteilungen
PortuguesFrancaisRussianEnglish
SpanishChineseArabicOther Languages

Europäische Union

Die Ablehnung der europäischen Verfassung durch die Wähler in Frankreich und den Niederlanden war 2005 ein größerer Rückschlag für den Kurs der europäischen Integration. Damit wird die Verfassung nur noch von knapp der Hälfte der fünfundzwanzig Mitgliedsstaaten unterstützt, wobei die Ablehnung einige der unentschlossenen Länder dazu veranlasste, ihre eigenen Pläne in Bezug auf Referenden zurückzuhalten.

Auch verfügbar in

english  french 
Das Erweiterungsprojekt der EU wird dennoch fortgesetzt, wobei die Achtung der Menschenrechte ein entscheidender Punkt für die Aufnahme formeller Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei war (siehe die Kapitel zu den einzelnen Ländern).  
 
In Bereichen wie Migration, Asyl und Terrorbekämpfung zeigen das gemeinsame Herangehen innerhalb der EU, die EU-Politik sowie die Praxis in den einzelnen EU-Staaten weiterhin eine Tendenz zur Umgehung von internationalen Menschenrechtsverpflichtungen.  
 
Anti-Terror-Maßnahmen  
Das Thema der Terrorismusbekämpfung in Europa war 2005 einerseits durch die Bedrohung durch Terroristen in einem in EU-Staaten bis jetzt noch nicht gekannten Ausmaß gekennzeichnet, und andererseits durch weitere Entwicklungen in der Terrorbekämpfungspolitik der EU-Regierungen, die zu nachteiligen Auswirkungen auf grundlegende Menschenrechte führten. Ersteres wurde am 7. Juli eindringlich deutlich, als London in seinem U-Bahn-Netzwerk von drei gleichzeitig stattfindenden Bombenanschlägen getroffen wurde sowie von einem vierten Bombenanschlag auf einen Bus, bei dem 56 Menschen starben (darunter die vier Bombenattentäter). Damit ist dies ist der tödlichste Anschlag in Großbritanniens jüngster Geschichte. Zum ersten Mal erfuhr die EU damit Anschläge von Selbstmordattentätern, die zudem britische Staatsangehörige waren.  
 
Am 21. Juli, genau zwei Wochen später, scheiterte ein Versuch, einen nahezu identischen Anschlag in drei Londoner U-Bahnen und einem Bus auszuführen. Am darauffolgenden Tag wurde ein Brasilianer in einer Londoner U-Bahn von der Polizei erschossen, die ihn scheinbar für einen Terrorverdächtigen hielt. Der Vorfall, der Fragen über die Überwachungsmethoden der Polizei und die Genehmigung von Todesschüssen bei der Polizei aufwarf, wurde umgehend zur Untersuchung an die unabhängige Beschwerdestelle der Polizei verwiesen. Zum Zeitpunkt des Verfassens des vorliegenden Berichts wird der Bericht der Beschwerdestelle für Ende 2005 erwartet.  
 
Ein spanisches Gericht verurteilte im September einen angeblichen Al-Kaida-Anführer zu 27 Jahren Gefängnis wegen Konspiration zu Mord durch die Bereitstellung logistischer Unterstützung für die Täter des Anschlags vom 11. September 2001 in den USA sowie wegen der Tatsache, Anführer einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein. 17 Mitangeklagte wurden wegen der Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe beziehungsweise Zusammenarbeit mit einer Terrorgruppe verurteilt. In Belgien wurde Anfang November ein Gerichtsverfahren wegen terroristischer Aktivitäten eingeleitet, bei dem 13 Angeklagte (alle Marokkaner beziehungsweise Belgier marokkanischer Herkunft) beschuldigt werden, den Tätern des Madrider Bombenattentats von 2004 und des Bombenattentats von Casablanca im Jahr 2003 Beihilfe geleistet zu haben.  
 
Anfang November berichtete "The Washington Post" unter Angabe von US-Regierungsquellen, dass die USA geheime Gefangenenlager in Europa und an anderen Orten benutzt hatten, um Terrorverdächtige ohne Zugang zu Rechtsanwälten oder die Möglichkeit, ihre Rechte wahrzunehmen, illegal festzuhalten. Zwar wurden in dem Artikel keine Orte genannt, die Behauptungen decken sich jedoch mit den Nachforschungen von Human Rights Watch, die die Existenz von geheimen Gefangenenlagern in Polen und Rumänien nahe legen (Polen ist ein EU-Mitglied, Rumänien ein Beitrittskandidat). Die EU-Kommission sowie die Parlamentarische Versammlung des Europarats kündigten umgehend Untersuchungen an und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes verlangte Zugang zu den angeblichen Einrichtungen.  
 
Inhaftierung auf unbestimmte oder lange Zeit  
Das höchste Gericht von Großbritannien, der Rechtsausschuss des Oberhauses (allgemein als die "Law Lords" bekannt) entschied im Dezember 2004, dass die Inhaftierung von terrorverdächtigen Ausländern auf unbestimmte Zeit ohne förmliche Anschuldigung oder Gerichtsverfahren mit dem Menschenrechtsgesetz des Großbritannien (bei dem die europäische Menschenrechtskonvention in nationales Recht aufgenommen wurde) unvereinbar ist. Daraufhin kündigte die britische Regierung Alternativen zur Inhaftierung auf unbestimmte Zeit an. Dazu gehört der Rückgriff auf sogenannte "Control Orders", die eine umfassende Einschränkung der Aktivitäten und Bewegungsfreiheit von Personen darstellen, denen Taten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten vorgeworfen werden (unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Person). Möglich ist auch der Einsatz von "diplomatischen Zusicherungen" zur Abschiebung von ausländischen Staatsangehörigen in deren Heimatländer, wo sie dem Risiko der Folter oder Misshandlungen ausgesetzt sind, und dies trotz klaren Hinweisen, dass solche Zusicherungen keinen wirkungsvollen Schutz gegen Misshandlung darstellen (siehe unten).  
 
Human Rights Watch kritisierte das Gesetz zur Einführung von "Control Orders" mit der Begründung, es sei kein ausreichender verfahrensrechtlicher Schutz gegeben, wenn man die Schwere der Eingriffe in die Freiheitsrechte durch die "Control Orders" in Betracht zieht. Das Antiterrorgesetz von 2005 trat im März 2005 in Kraft.  
 
Im September veröffentlichte die britische Regierung einen neuen Gesetzesentwurf zur Terrorismusbekämpfung, der eine Verlängerung der möglichen Dauer einer Inhaftierung von Terrorverdächtigen ohne formelle Anklage auf neunzig Tage vorsah (derzeit 14, am längsten in Europa), und der den neuen Straftatbestand des "Förderns" von Terrorismus einführte (siehe unten). Der Gesetzesentwurf durchlief das Unterhaus im November, obwohl der Vorschlag der Regierung, die Dauer auf 90 Tage zu verlängern, abgelehnt worden war. Stattdessen wurde eine Änderung des Entwurfs angenommen wurde, laut dem die mögliche Dauer einer Inhaftierung von Terrorverdächtigen ohne formelle Anklage auf 28 Tage verlängert wurde. Human Rights Watch wendete ein, dass keine Argumente vorgetragen worden seien, überhaupt eine Verlängerung einzuführen, gleich welcher Dauer. Eine Inhaftierung von bis zu 28 Tagen ohne förmliche Anklage könne zu einer Art von willkürlicher Inhaftierung werden und das Recht der festgenommenen Person, unverzüglich über den Grund der Festnahme informiert zu werden, verletzen. Der Gesetzesentwurf wurde zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Berichts noch im Oberhaus diskutiert.  
 
Die italienische Regierung brachte Ende Juli 2005 ein neues Gesetz zur Terrorbekämpfung ein. Nach einer sehr kurzen parlamentarischen Überprüfung trat das Gesetz Anfang August in Kraft. Durch das Gesetz wurden eine Reihe von neuen Straftatbeständen eingeführt und das Strafmaß einiger bestehender Straftatbestände wurde erhöht. Zu den besorgniserregendsten Bestimmungen hierbei gehört, dass die mögliche Dauer, die ein Verdächtiger zur Befragung ohne formelle Anklage und ohne die Präsenz eines Anwalts festgehalten werden darf, von zwölf auf vierundzwanzig Stunden verlängert wurde, und dass mehr Behörden zur Festhaltung und Vernehmung von Terrorverdächtigten ermächtigt wurden. Damit wurden auch leitende Polizeibeamte ermächtigt, die sofortige Ausweisung von sich illegal in Italien aufhaltenden Personen anzuordnen, sofern der Beamte die Person als Bedrohung für die nationale Sicherheit einstuft. Der Einspruch gegen solche Ausweisungsanordnungen hätte keine aufschiebende Wirkung.  
 
Ein französischer Gesetzesentwurf zur Terrorbekämpfung, der dem Parlament im November vorgelegt wurde, enthielt die Bestimmung, dass die "kriminelle Vereinigung" im Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat von einem Vergehen zu einem Verbrechen hochgestuft wird. Die überaus vage Formulierung des Straftatbestands erlaubt eine Inhaftierung auch bei lediglich beschränkt vorhandenen Hinweisen. Die Anwendung dieses Straftatbestands zur Inhaftierung von verdächtigten Personen, die dann später ohne förmlich angeklagt worden zu sein, wieder freigelassen werden, erfährt ausgedehnte Kritik, da es eine Form von vorbeugender Inhaftierung sein kann. Durch die Hochstufung würde sich die zulässige Dauer der Untersuchungshaft von drei Jahren und vier Monaten auf vier Jahre und acht Monate erhöhen. Dies würde weiterhin zu einer Verdopplung des zulässigen Höchststrafmaßes auf zwanzig Jahre führen. Die Gesetzesvorlage sieht weiterhin eine Verlängerung des zulässigen Polizeigewahrsams von mutmaßlichen Tätern in Fällen von Terrorismus von vier auf sechs Tage vor.  
 
Durch Folter erlangtes Beweismaterial  
Im Oktober begannen die britischen "Law Lords" sich mit der Frage zu befassen, ob unter Folter gewonnenes Beweismaterial aus Drittländern nach britischem Recht verwendet werden darf. In dem Fall hatten zehn Männer Revision gegen eine Mehrheitsentscheidung des Court of Appeal (Berufungsgericht) vom August 2004 eingelegt. Die Männer waren auf unbestimmte Zeit als Terrorverdächtige inhaftiert worden. In der Entscheidung des Court of Appeal hieß es, dass sich die britische Regierung in besonderen Terrorismus-Fällen auf unter Folter erlangtes Beweismaterial berufen darf, vorausgesetzt, Großbritannien habe zur Folter "weder beigetragen noch sie geduldet". Diese Entscheidung verstößt gegen international vereinbarte Menschenrechtsstandards. Human Rights Watch war Teil eines Zusammenschlusses von vierzehn Menschenrechts- und Anti-Folter-Organisationen, die im Oberhaus intervenierten. Die Entscheidung der "Law Lords" wird für Ende 2005 erwartet und wird aller Voraussicht nach schwerwiegende Auswirkungen auf das weltweite Verbot von Folter haben.  
 
Zurückweisung von Flüchtlingen und diplomatische Zusicherungen  
In Bezug auf den Rückgriff auf "diplomatische Zusicherungen" wurden bedeutende Entscheidungen gegen einzelne EU-Regierungen getroffen. Dennoch treiben Regierungen weiterhin Pläne voran, die das absolute Verbot der Zurückweisung von Flüchtlingen an Länder, in denen ihnen Folter oder Misshandlung droht, entweder direkt aufheben, oder es umgehen sollen. Dieser beunruhigende Trend veranlasste den Generalsekretär des Europarats im Oktober 2005 dazu, europäische Regierungen daran zu erinnern, dass "das Verbot der Folter … absolut ist und unter allen Umständen gilt. Es ist nicht verhandelbar." In seinem jährlichen Bericht an die UNO-Vollversammlung betonte der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, ebenfalls, dass "auf diplomatische Zusicherungen kein Verlass ist und sie zudem uneffektiv beim Schutz gegen Folter und Misshandlungen sind", und forderte die Regierungen auf , "das Prinzip, Menschen, nicht abzuweisen, die in ihren Heimatländern von Folter und Misshandlung bedroht sind, unbedingt einzuhalten."  
 
Berichten zufolge schlossen sich fünf EU-Regierungen zusammen, um die historische Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) von 1996 im Fall "Chahal gegen Großbritannien" zu kippen. Diese Entscheidung bestätigte das absolute Verbot der Zurückweisung von Personen an Länder, in denen ihnen Folter oder Misshandlung droht. Großbritannien, Italien, Litauen, Polen und die Slowakei erhielten im Oktober die Erlaubnis, als interessierte Parteien dem Verfahren "Ramzy gegen die Niederlande" beizutreten, das zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Berichts vor dem EGMR anhängig war. In dem Verfahren wird ein algerischer Mann, Mohammed Ramzy, verdächtigt, an terroristischen Aktivitäten beteiligt zu sein. Mohammed Ramzy ging gegen seine Abschiebung vor mit der Begründung, er sei bei einer Rückkehr nach Algerien von Folter bedroht. Es wurde berichtet, dass die betreffenden Regierungen eine Aufhebung der Entscheidung im Fall "Chahal" dahingehend begehrten, dass das Recht einer Person, nicht gefoltert zu werden, gegen die nationalen Sicherheitsinteressen des Staats abgewogen werden dürfe (dies war auch die Essenz der Mindermeinung der Richter des EGMR im Fall "Chahal").  
 
Im Mai 2005 entschied der UN-Ausschuss gegen Folter, dass Schweden das absolute Folterverbot verletzt habe, indem es im Jahr 2001 den Terrorverdächtigen Ahmed Agiza nach Ägypten auswies. Schweden versuchte, die Ausweisung zu rechtfertigen, indem es vorbrachte, es seien Zusicherungen von Ägypten dahin gehend eingeholt worden, dass Agiza human behandelt werden würde. Agiza legte jedoch glaubhaft dar, dass er nach seiner erzwungenen Rückkehr nach Ägypten gefoltert wurde. Der UN-Ausschuss schloss daraus, dass die von schwedischen Behörden erlangten Zusicherungen ägyptischer Beamter in Bezug auf Agiza nicht als ausreichender Schutz betrachtet werden können. Der Ausschuss wies darauf hin, dass Ägypten eine gut dokumentierte Vorgeschichte von Fällen des Missbrauchs durch Folter habe und dass dies insbesondere bei Fällen zutreffe, in denen es um Terrorverdächtige geht. Der routinemäßige Einsatz von Folter sowie die Tatsache, dass die USA sowie Ägypten ein Interesse an Agiza haben, hätte zu der "natürlichen Schlussfolgerung" führen müssen, dass Agiza bei seiner Rückkehr von Folter bedroht sein würde.  
 
Die Überstellung von Agiza sowie eines anderen Mannes, Mohammed al-Zari, wurde durch US-Geheimdienstmitarbeiter vorgenommen, denen die beiden Männer am Stockholmer Bromma-Flughafen übergeben wurden, was den Fall zu einer "außergewöhnliche Auslieferung" macht. Im März ergab ein Bericht des schwedischen obersten parlamentarischen Ombudsmanns, dass der schwedische Sicherheitsdienst sowie die Flughafenpolizei "erstaunlich unterwürfig gegenüber den amerikanischen Beamten gewesen seien" und "die Kontrolle über die Situation verloren", was zu einer Misshandlung von Agiza und al-Zari noch am Flughafen, unmittelbar vor ihrem Abtransport nach Kairo, führte. Darunter waren körperliche Misshandlungen und andere Erniedrigungen. Der UN-Ausschuss sagte, die Misshandlungen am Bromma-Flughafen hätten schwedischen Behörden deutlich machen müssen, dass die Männer von Folter bedroht sind, würde man sie nach Ägypten zurückbringen.  
 
Ein Berufungsgericht in den Niederlanden entschied im Januar 2005 gegen eine Auslieferung von Nuriye Kesbir, einem hochrangigen Mitglied der kurdischen Arbeiterpartei PKK, an die Türkei. Gegen Nuriye Kesbir lag ein Auslieferungsbefehl vor, demzufolge sie angeblich als Militärfunktionärin Kriegsverbrechen im Bürgerkrieg im Südosten der Türkei begangen hatte. Im Mai 2004 hatte ein vorinstanzliches Gericht festgestellt, dass keine ausreichende Grundlage für einen Stopp der Auslieferung vorhanden sei, obwohl Kesbirs Angst vor Folter und einem unfairen Prozess in der Türkei nicht gänzlich unbegründet sei. Das Gericht erteilte der Regierung die ausschließliche Entscheidungsbefugnis, dem Auslieferungsersuchen stattzugeben oder es abzulehnen, riet dem niederländischen Justizminister jedoch, verstärkt diplomatische Zusicherungen der Türkei gegen Folter und gegen einen unfairen Prozess einzuholen. Das Berufungsgericht schloss, dass die diplomatischen Zusicherungen nicht garantieren können, dass Kesbir bei ihrer Rückkehr in die Türkei nicht gefoltert oder misshandelt werden würde.  
 
Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) fällte im Februar 2005 ein Urteil im Fall "Mamatkulow und Askarov gg. die Türkei", zu dem Human Rights Watch und das AIRE-Zentrum (Advice on Individual Rights in Europe) ein Amicus-Curiae-Schreiben vorlegten. Die beiden Männer waren im Jahr 1999 aus der Türkei nach Usbekistan abgeschoben worden, auf der Grundlage von Zusicherungen der usbekischen Behörden, dass sie nicht Folter oder unfairen Verfahrenspraktiken ausgesetzt würden. Man hatte erwartet, dass das Gericht die Glaubwürdigkeit und/oder die Hinlänglichkeit diplomatischer Zusicherungen der usbekischen Regierung zum Verzicht auf Folter beurteilen würde, aber das Gericht erklärte, es sei nicht ausreichend informiert, um zu bestimmen, ob gegen Artikel 3 der europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot von Folter und Misshandlung) verstoßen wurde; das Gericht ging nicht auf die Glaubwürdigkeit oder Hinlänglichkeit der Zusicherungen ein. Dennoch befand das Gericht, dass die Türkei durch ein Gesuch des EGMR verpflichtet gewesen wäre, die Rückführung der Männer aufzuschieben, bis der Antrag der Männer gerichtlich geprüft wurde.  
 
Die britische Regierung unterzeichnete im August und Oktober 2005 Absichtserklärungen (MOUs) mit Libyen und Jordanien, nach denen Personen, die Großbritannien in diese Länder abschiebt, dort nicht Folter oder Misshandlungen ausgesetzt werden. Die britische Regierung bestätigte auch, dass sie solche Vereinbarungen ebenfalls mit Tunesien, dem Libanon und Algerien anstrebe, und glaubwürdigen Berichten zufolge verhandelt sie ein ähnliches Abkommen mit Ägypten.  
 
Im August erklärte der UN-Sonderberichterstatter für Folter, er habe "Bedenken, dass Großbritanniens Plan, diplomatische Zusicherungen einzuholen, um Personen trotz Folterrisiko auszuweisen, Tendenzen in Europa wiederspiegelt, die versuchen, die internationalen Verpflichtungen, niemanden abzuschieben, wenn ein ernstzunehmendes Folterrisiko besteht, zu umgehen". Er fügte hinzu, dass "diplomatische Zusicherungen kein geeignetes Mittel sind, dieses Risiko zu beseitigen."  
 
Human Rights Watch veröffentlichte im April 2005 einen Bericht mit dem englischen Originaltitel: "Still at Risk: Diplomatic Assurances No Safeguard against Torture", welcher die Unzulänglichkeit diplomatischer Zusicherungen als Schutz gegen Folter sowie die Gefahren, die solche Beteuerungen für die absolute Natur des Auslieferungsverbots (Non-Refoulment-Prinzip) darstellen, umfassend dokumentiert, und äußerte sich auch in weiteren Erklärungen kritisch zu Großbritanniens bilateralen Abkommen, die auf pauschalen diplomatischen Zusicherungen basieren.  
 
Zwischen August und Oktober wurden über zwanzig ausländische Staatsbürger unter dem Verdacht der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten festgenommen und sollen aus nationalen Sicherheitsgründen abgeschoben werden, darunter Personen, die zuvor in Großbritannien zu lebenslänglicher Haft verurteilt waren. Einigen der Männer, die unter anderem aus Jordanien, Libyen und Algerien stammen, wurde zuvor in Großbritannien Asyl gewährt. Vier der Algerier wurden im Oktober gegen Kaution freigelassen, aber die Mehrzahl befindet sich zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Berichts noch immer in Haft. Es wurden derzeit noch keine Deportationen auf Grundlage dieser Abkommen durchgeführt und es bleibt unklar, wie viel Gewicht britische Gerichte den Zusicherungen für humane Behandlung beimessen würden, wenn sie das Folterrisiko bei zukünftigen Berufungen von Häftlingen gegen ihre Deportation untersuchen.  
 
Neue Straftatbestände der Aufwiegelung  
Die Londoner Bombenanschläge setzten Impulse für legislative und andere Initiativen gegen die Anwerbung von Terroristen. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen haben besorgniserregende Auswirkungen auf das Recht der freien Meinungsäußerung. Auf der Ebene der gemeinsamen EU-Politik gab eine Kommissionsmitteilung vom September 2005 über die "Rekrutierung von Terroristen: Bekämpfung der Ursachen von Radikalisierung und Gewaltbereitschaft" den Ton an. Der Europarat sollte zum Ende des Jahres im Rahmen seines Aktionsplans gegen den Terrorismus eine Strategie zu diesem Thema ausarbeiten. Nach einer im März ausgearbeiteten Konvention zur Terrorismusprävention (Convention on the Prevention of Terrorism) sollen "öffentliche Aufrufe zum Terrorismus" strafbar gemacht werden, unabhängig ob der Terrorismus dabei direkt befürwortet wird, wenn dieser "Aufruf" mit diesem Vorsatz geäußert wird.  
 
Der Entwurf für die neue Anti-Terror-Gesetzgebung, den die britische Regierung im September veröffentlichte, beinhaltet einen neuen Straftatbestand, wonach "ermutigende" Äußerungen, einschließlich solcher, die den Terrorismus billigen oder glorifizieren, strafbar sind und die Schließung religiöser Stätten, an denen "Extremismus geschürt wird" vorgesehen ist. Human Rights Watch ist besorgt, dass solche Maßnahmen das Recht auf gewaltfreie Meinungsäußerung untergraben, indem sie auch Äußerungen kriminalisieren, die keine Aufstachelung zur Gewalt beabsichtigen. In Dänemark und Schweden wird erstmals ein im Jahr 2002 verabschiedetes Anti-Terror-Gesetz, das die Anstiftung zu Terrorismus und das Angebot, Terroristen mit Rat zu helfen, mit bis zu sechs Jahren Gefängnis unter Strafe stellt, in einem Verfahren angewendet. Die Anklage gegen einen in Marokko geborenen dänischen Staatsbürger steht im Zusammenhang mit der Verbreitung aus dem Internet heruntergeladener, hetzerischer Artikel und Bilder von irakischen Aufständischen begangenen Enthauptungen.  
 
Im August gab die britische Regierung eine Liste von "unakzeptablen Verhaltensweisen" heraus, die der Liste der Gründe für die Abschiebung oder Ausschließung ausländischer Staatsbürger im Interesse der nationalen Sicherheit hinzugefügt wurde. Diese beinhaltete die Äußerung oder Veröffentlichung von Meinungen, die so verstanden werden, dass sie "den Terrorismus schüren, billigen oder glorifizieren", andere auffordern, terroristische Handlungen zu begehen oder "Hass schüren", der zu Gewalttaten zwischen verschiedenen kulturellen Gemeinschaften in Großbritannien führen kann. Dies ging weiter als ein im Juli 2004 in Frankreich verabschiedetes Gesetz, das zur Ausweisung von Ausländern berechtigt, welche sich an Aktivitäten beteiligen, die "ausdrücklich und vorsätzlich" Diskriminierung, Hass oder Gewalt herbeiführen. Obwohl die Ausweisungen in Frankreich dem Berufungsrecht unterlagen, wurde die Anordnung zur Ausweisung nicht automatisch bis zur Berufungsentscheidung ausgesetzt, und es kam vor, dass Personen in ihr Ursprungsland abgeschoben wurden, bevor ihre Ausweisungsanordnung von der Berufungsinstanz aufgehoben wurde. In Deutschland trat am 1. Januar 2005 ein neues Zuwanderungsgesetz in Kraft, das den Behörden erlaubt, Personen auszuweisen, die zu Hass oder Gewalt aufstacheln oder terroristische Handlungen öffentlich in einer Weise billigen oder fördern, "die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören".  
 
Nachdem es in weiten Teilen Frankreichs während 13 aufeinander folgenden Nächten zu gewalttätigen Unruhen gekommen war, verkündete der französische Innenminister Nicolas Sarkozy am 9. November 2005, dass alle erwachsenen Ausländer, einschließlich solcher im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die wegen Beteiligung an den Unruhen verurteilt werden, ausgewiesen würden.  
 
Asylsuchende und Migranten  
Human Rights Watch hat stets anerkannt, dass die Zuwanderung in die EU die europäischen Regierungen vor deutliche Probleme stellt, und kaum jemand würde das Recht oder die Dringlichkeit in Frage stellen, mit politischen Entscheidungen auf diese zu reagieren. Die gemeinsame EU-Politik in dieser Hinsicht entwickelt sich allerdings weiterhin ausschließlich in die Richtung, Migranten und Asylsuchende aus Europa auszuschließen und fernzuhalten. Darüber hinaus greifen mindestens zwei EU-Staaten, Italien und Spanien, zu Abschottungspraktiken jenseits der Rechtsstaatlichkeit, indem sie aktiv Abschiebungen vorantrieben ohne dabei das Recht des Einzelnen, Asyl zu beantragen, zu respektieren. Außerdem achten diese und andere EU-Staaten bei der Durchführung von Abschiebungen kaum darauf, ob die Empfängerländer ausreichenden Schutz bieten können.  
 
Die gemeinsame Zuwanderungs- und Asylpolitik der EU  
Die europäische Kommission legte im September einen Entwurf für eine Richtlinie über "gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger" vor. Während der Ton dieser Vorlage im Vergleich zu früheren Entwürfen im Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte verbessert wurde, bleiben eine Reihe von Besorgnissen bestehen. Der Text erfüllt auch nicht die Kriterien, die von einem Bündnis nichtstaatlicher Menschenrechts- und europäischer Flüchtlingsorganisationen, darunter auch Human Rights Watch, als gemeinsame Grundsätze für die Rückführung zusammengestellt wurden. Zu den schwerwiegendsten Bedenken gehören das Fehlen eines rechtsverbindlichen Berufungsrechts gegen die Ausweisung mit aufschiebender Wirkung und die Verhängung eines Wiedereintrittsverbots, das eine doppelte Bestrafung mit potentiell gravierenden Folgen für das Auslieferungsverbot (Non-Refoulment-Prinzip) darstellen könnte. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Berichts entschieden der Europarat und das europäische Parlament im Mitbestimmungsverfahren über diesen Richtlinienvorschlag.  
 
Die Asylverfahrensrichtlinie, auf die sich der Europarat im April 2004 geeinigt hatte, wurde dem europäischen Parlament zur Konsultation vorgelegt, das im September 2005 "schwere Bedenken" äußerte und über einhundert Änderungen an dem Dokument forderte. In einer Bestätigung des Grundsatzes, nach dem einem Asylsuchenden das Recht auf die individuelle Prüfung seines Antrags zusteht, argumentierte das Parlament, dass der Bewerber das Recht haben sollte, "der Sicherheitsannahme zu widersprechen", die mit dem Vorschlag von Listen von "sicheren Drittländern" einhergeht. Human Rights Watch und andere hatten im März 2004 die Rücknahme des Richtlinienentwurfs gefordert, mit der Begründung, dass "die umstrittensten Regelungen alle zum Ziel haben, den Asylsuchenden den Zugang zu Asylverfahren zu verwehren und ihre Abschiebung in Länder außerhalb der EU herbeizuführen". Der Rat war nicht an die Änderungsvorschläge des europäischen Parlaments gebunden. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Berichts gab es keine weitere Bewegung in die Richtung der Annahme des Richtlinienentwurfs.  
 
Wiederaufnahmevereinbarungen  
Von Human Rights Watch durchgeführte Nachforschungen in den Ländern an den neuen Ostgrenzen der EU bestätigten die Besorgnis, dass in einigen der neuen EU-Mitgliedsstaaten keine Systeme für vollständige und faire Asylverfahren vorhanden sind, oder dass Richtlinien und Praktiken fehlen, die gewährleisten, dass niemand an einen Ort zurückgeschickt wird, wo sein Leben oder seine Freiheit gefährdet sind.  
 
Wie der im November 2005 von Human Rights Watch veröffentlichte Bericht: "Am Rande – Ukraine: Menschenrechtsverletzungen gegen Einwanderer und Asylsuchende an der neuen Ostgrenze der europäischen Union" dokumentierte, ist es allgemein üblich, dass Grenzbeamte in Polen und Slowenien Personen, die an der ukrainischen Grenze aufgehalten wurden, innerhalb von 48 Stunden verhören und bearbeiten, ohne einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, deren Namen, Herkunft oder Flüchtlingsstatus zu bestimmen und ohne dass diese Zugang zu einem Rechtsbeistand oder Dolmetschern haben oder ihnen die Möglichkeit geboten wird, die Entscheidung des Grenzbeamten, sie in die Ukraine zurückzuschicken, anzufechten. Einige dieser Rückführungen, die auf der Grundlage bilateraler Wiederaufnahmevereinbarungen zwischen den betreffenden EU-Staaten und der Ukraine durchgeführt werden, geben Anlass zur Sorge, dass, obwohl die Wiederaufnahmevereinbarungen theoretisch keinen Einfluss auf das Asylrecht haben, in der Praxis auch Asylbewerber zurückgeschickt werden können, ohne dass ihre Schutzbedürfnisse ermittelt wurden.  
 
Die EU hat Wiederaufnahmevereinbarungen (die für alle EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark gelten, das sich enthielt,) mit Albanien und Russland im April, bzw. im Oktober abgeschlossen und verhandelt solche zur Zeit mit vier weiteren Ländern, darunter die Ukraine und Marokko.  
 
Abwicklung von Migranten und Asylsuchenden außerhalb der EU  
Der europäische Rat für Justiz und Inneres begrüßte eine Mitteilung der Europäischen Kommission zum Thema Regionale Schutzprogramme "als ersten Schritt auf dem Weg, Personen, die internationalen Schutz benötigen, so rasch wie möglich und möglichst nah an ihrem Wohnort einen besseren Zugang zu Schutz und zu dauerhaften Lösungen zu gewähren." Pilotprogramme sollten noch vor Ende des Jahres 2005 beginnen.  
 
In dem Bericht über die Ukraine (die sich innerhalb der Region des ersten Pilot-Schutzprogramms befindet) vom November 2005, stellte Human Rights Watch fest, dass regionale Schutzprogramme potentiell echte Verbesserungen der Schutzkapazitäten der Zielländer bewirken könnten, äußerte jedoch Bedenken, dass die regionalen Schutzprogramme das Recht, in der EU Asyl zu beantragen, untergraben könnten, indem die Zielländer vorzeitig als "sichere Drittländer" eingestuft werden und diese dann die Rückführung der durchreisenden Asylbewerber beschleunigen, ohne deren Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen. Auch der hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) begrüßte den Vorschlag der regionalen Schutzzonen, unterstrich aber die Notwendigkeit für Garantien, dass diese die bestehenden Asylpraktiken in den Mitgliedsstaaten der EU nur ergänzen werden.  
 
Die EU treibt weiterhin ihre Programme für strikte Zugangskontrollen energisch voran und bei der Migrationspolitik mit ihren Nachbarländern ist der Vollzug dem Schutz übergeordnet.  
 
Italien fährt im Rahmen seines bilateralen Abkommens mit Libyen fort, Personen, die aus Nordafrika ankommen und auf der Insel Lampedusa unter der italienischen Internierungspolitik für illegal eingereiste Migranten und Asylbewerber festgehalten werden, abzuschieben, ohne deren Anträge ausreichend zu prüfen. Im März 2005 wurden beinahe fünfhundert Ägypter nach Libyen und 37 direkt nach Ägypten abgeschoben, wobei ihnen während der Charterflüge Handschellen angelegt und die Augen verbunden wurden. In den Monaten Mai und Juni schob Italien beinahe zweihundert Personen nach Libyen ab. Bei den Abschiebungen wurde die Tatsache ignoriert, dass Libyen die Grundrechte von Migranten regelmäßig missachtet, die Konvention zum Flüchtlingsstatus von 1951 nicht ratifiziert hat und daher nicht als ein "sicheres Drittland" für die Rückführung gelten kann.  
 
Der italienische Innenminister erklärte nach den Abschiebungen im März vor dem italienischen Parlament, dass die Regierung bei diesen Handlungen ihren Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenrechte voll nachgekommen sei. Diese wurden allerdings von der UNHCR kritisiert, deren Personal zu dieser Zeit der Zugang nach Lampedusa verweigert wurde. Eine Delegation von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die die Einrichtungen in Lampedusa Ende Juli besuchte, stellte die Rechtmäßigkeit der Praxis in Frage, Konsularbeamte dritter Länder an den Identifikationsverfahren zu beteiligen, in Anbetracht der Gefahr, die dies für einen potentiellen Asylbewerber darstelle. Sie erhielten zur Antwort, dass in letzter Zeit "niemand" Asyl beantragt habe. Die Abgeordneten bezeichneten diese Behauptung als "unglaublich", da Lampedusa demnach das "erste Auffanglager in Italien wäre, in dem dies nicht vorkommt".  
 
Angesichts eines Massenansturms dokumentenloser Migranten auf Spaniens nordafrikanische Enklaven Ceuta und Melilla, schob die spanische Regierung Anfang Oktober mindestens 73 Personen, die ihre Enklaven erreicht hatten, wieder nach Marokko ab, darunter mehrere, die versucht hatten, Asyl zu beantragen. Berichten zufolge wurden diese Abschiebungen ohne individuelle Prüfungen durchgeführt, die die Feststellung von Asylansprüchen ermöglicht hätten. Am 23. Oktober wurden 49 Malier aus dieser Gruppe in ihr Heimatland deportiert, obwohl mindestens zwei von ihnen in Marokko Asyl beantragt hatten.  
 
Es liegen besorgniserregende Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten, die aus Spanien nach Marokko abgeschoben oder beim Versuch nach Ceuta oder Melilla zu gelangen verhaftet wurden vor, darunter Abschiebungen unter inhumanen Bedingungen an den Wüstengrenzen zu Algerien und Mauretanien. Mindestens elf Personen wurden erschossen, als spanische und marokkanische Soldaten versuchten, das Eindringen in die Enklaven zu verhindern. Marokko räumte ein, dass seine Grenzbeamten für vier der Todesfälle verantwortlich seien, während eine interne spanische Untersuchung die spanischen Kräfte für schuldfrei erklärte. Human Rights Watch forderte eine unabhängige Untersuchung der Todesfälle, wie auch der UN-Sonderberichterstatter für Flüchtlingsrechte, Dr. Jorge Bustamente, der gleichzeitig an Marokko appellierte, die kollektiven Deportationen zu unterlassen.  

HRW Logo

Home | Pressemitteilungen | Publikationen | Wir über uns | Informationen zu Ländern | Globale Themen | Kampagnen | Spenden | Unterstützer werden | Buchverkauf | Filmfestival | Suche | Kontakt | Datenschutz

© Copyright 2004, Human Rights Watch    350 Fifth Avenue, 34th Floor    New York, NY 10118-3299    USA