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Sri Lanka: Verschwindenlassen durch Sicherheitskräfte eine nationale Krise

Internationale Beobachtermission zum Schutz der Menschenrechten dringend nötig

(New York, 6. März 2008) – Sri Lankas Regierung ist verantwortlich für zahlreiche Entführungen und das Verschwindenlassen von Personen. Die Vorfälle habe das Ausmaß einer nationalen Krise erreicht, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Human Rights Watch fordert die Regierung auf, den Aufenthaltsort der verschleppten Personen offen zu legen, die Vorgehensweise umgehend zu beenden und die Täter zur Verantwortung zu ziehen.

" Unter Präsident Mahinda Rajapaksa, einem einst prominenten Verfechter der Menschenrechte, hat sich Sri Lankas Regierung zum weltweit schlimmsten Verantwortlichen für Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens entwickelt. Das Ende der Waffenruhe bedeutet, dass diese Krise anhält, bis die Regierung ernsthafte Maßnahmen ergreifen wird. "
Elaine Pearson, stellvertretende Direktorin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch
  

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Seit 2006 schwere Gefechte zwischen der Regierung und den Tamilischen Befreiungstigern (Liberation Tigers of Tamil Eelam – LTTE) wieder aufgeflammt sind, haben srilankische Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen, die der Regierung nahe stehen, Hunderte von Personen entführt oder verschwinden lassen. Es wird befürchtet, dass viele der verschleppten Personen tot sind.  
 
Der 241-seitige Bericht „Nightmare: State Responsibility for ‘Disappearances’ and Abductions in Sri Lanka” dokumentiert 99 von mehreren Hundert berichteten Fällen und untersucht die Reaktion der srilankischen Regierung, die bis heute in keiner Weise angemessen ist. Nach Angaben der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für Fragen des gewaltsamen und unfreiwilligen Verschwindenlassens von Personen verzeichnete Sri Lanka in den Jahren 2006 und 2007 die weltweit höchste Anzahl neuer Fälle von verschleppten Personen.  
 
„Unter Präsident Mahinda Rajapaksa, einem einst prominenten Verfechter der Menschenrechte, hat sich Sri Lankas Regierung zum weltweit schlimmsten Verantwortlichen für Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens entwickelt“, sagte Elaine Pearson, stellvertretende Direktorin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Das Ende der Waffenruhe bedeutet, dass diese Krise anhält, bis die Regierung ernsthafte Maßnahmen ergreifen wird“.  
 
Nach internationalem Recht macht sich ein Staat des gewaltsamen Verschwindenlassens schuldig, wenn er eine Person in Gewahrsam nimmt, gleichzeitig jedoch deren Festnahme leugnet und sich weigert, ihren Aufenthaltsort preiszugeben. Verschwundene Personen werden regelmäßig Opfer von Folter oder außergerichtlichen Exekutionen; auch den Familienangehörigen wird so anhaltendes Leid zugefügt. Der Tatbestand des gewaltsamen Verschwindenlassens ist eine stetige Menschenrechtsverletzung – diese dauert an, bis das Schicksal oder der Aufenthaltsort der Vermissten bekannt wird.  
 
Die überwältigende Mehrheit der Fälle, die Human Rights Watch dokumentiert, deutet auf eine Beteiligung staatlicher Sicherheitskräfte hin – Armee, Kriegsmarine oder Polizei. In einigen Fällen identifizierten die betroffenen Angehörigen Militäreinheiten, die ihre Verwandten verhaftet hatten, oder Armeelager, in die diese verschleppt worden waren. In anderen Fällen beschrieben sie uniformierte Polizisten, insbesondere Mitglieder der Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), die ihre Verwandten in Gewahrsam nahmen, bevor sie verschleppt wurden.  
 
Vairamuththu Varatharasan, ein 40-jähriger Lastwagenfahrer und Vater von fünf Kindern, wurde am 7. Januar 2007 aus seinem Haus in Colombo entführt und seither nicht mehr gesehen. Seine Ehefrau teilte Human Rights Watch mit:  
 
„Eine Gruppe von etwa zwanzig Männern – einige von ihnen in Polizeiuniform, einige in Zivilkleidung - umstellte das Haus. Ein Polizeibeamter kam herein und verlangte nach unseren Ausweisen. Ich ging in eines der Zimmer, um die Ausweise zu holen. Als ich zurückkehrte, war mein Mann – ebenso wie der Polizeibeamte – fort. Ich lief hinaus und entdeckte einen Lieferwagen, der in einer dunklen Ecke der Straße geparkt war. Ich lief auf die Straße, aber ehe ich den Lieferwagen erreichen konnte, startete er und fuhr weg.“  
 
Die meisten Opfer sind ethnische Tamilen, doch auch Muslime und Singhalesen waren betroffen. In vielen Fällen verschleppten die Sicherheitskräfte Personen aufgrund ihrer vermeintlichen Nähe zur LTTE. Ebenfalls betroffen waren Geistliche, Lehrer, humanitäre Helfer und Journalisten – nicht nur, um sie aus der Öffentlichkeit zu entfernen, sondern auch als Warnung an Andere, sich nicht in ähnlicher Weise zu engagieren.  
 
Regierungsfreundliche, bewaffnete Tamilengruppen sind ebenfalls in Entführungen und Verschleppungen verwickelt – insbesondere die Karuna-Gruppe und die EPDP (Eelam People’s Democratic Party). Sie agieren entweder unabhängig oder in Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften.  
 
Die Zahl der von den LTTE verantworteten Entführungen ist vergleichsweise gering, da die primäre Taktik der LTTE eher gezielte Tötungen als Entführungen sind. Die LTTE ist ebenfalls verantwortlich für zahlreiche Übergriffe, darunter Bombenanschläge auf Zivilisten, politische Attentate, gewaltsame Rekrutierung von Kindersoldaten sowie die systematische Unterdrückung ziviler und politischer Rechte in den von ihnen kontrollierten Gebieten.  
 
Angesichts der Krise lässt die Regierung Sri Lankas bislang keinerlei Entschlossenheit erkennen, die Verantwortlichen zu ermitteln und strafrechtlich zu verfolgen. Nicht ein einziges Mitglied der Sicherheitskräfte wurde bislang wegen Beteiligung am Verschwindenlassen oder an der Entführung von Personen vor Gericht gestellt. Erleichtert wurde das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen, wie Human Rights Watch feststellte, durch die srilankischen Notstandsgesetze, die es den Sicherheitskräften ermöglichen, Personen willkürlich zu verhaften und festzuhalten, ohne Rechenschaft darüber ablegen zu müssen.  
 
„Solange Soldaten und Polizei solche Übergriffe begehen können, ohne Strafen fürchten zu müssen, wird dieses schreckliche Verbrechen weitergehen“, sagte Pearson.  
 
Die Rajapaksa-Regierung hat verschiedene Institutionen eingerichtet, die das Verschwindenlasssen von Personen sowie andere Menschenrechtsverletzungen überwachen und untersuchen sollen. Keine dieser Institutionen hat bislang konkrete Ergebnisse geliefert.  
 
Für Human Rights Watch ist dieses Scheitern nicht überraschend angesichts der Tatsache, dass die srilankische Regierung bis in die höchsten Ebenen das Problem weiterhin herunterspielt, die Tragweite der Krise leugnet und staatliche Sicherheitskräfte in die Vorfälle verwickelt sind.  
 
„Von Regierungsseite initiierte Mechanismen, das Verschwindenlassen von Personen anzugehen, bleiben wirkungslos, solange der Präsident und Spitzenbeamte den Sicherheitskräften kein klares Signal geben, dass solche Übergriffe nicht geduldet werden“, sagte Pearson.  
 
Die wichtigsten internationalen Partner Sri Lankas sowie UN-Gremien, einschließlich des Hochkommissars für Menschenrechte, äußerten ihre ernste Sorge wegen der alarmierenden Zahl vermisster Personen und der vorherrschenden Straflosigkeit. Sie befürworteten in zunehmendem Maße die Einrichtung einer UN-Beobachtermission, die Menschenrechtsverstöße durch Regierungskräfte und durch die LTTE landesweit untersucht und darüber berichtet.  
 
Human Rights Watch beklagt den Widerstand der srilankischen Regierung gegen eine internationale Überwachungsmission, da sich derartige Initiativen gegen das Verschwindenlassen von Personen bereits als wirksam erwiesen haben. Ausgestattet mit einem ausreichenden Mandat und entsprechenden finanziellen Mitteln könnte die Überwachungsmission erreichen, woran die Regierung und diverse nationale Mechanismen gescheitert sind: Ermittlung des Aufenthaltsorts der Inhaftierten durch unangekündigte Besuche in den Haftanstalten, Zusammentragen fallspezifischer Informationen von allen Konfliktseiten, Unterstützung von nationalen Sicherheitskräften und Menschenrechtsmechanismen bei der Ermittlung einzelner Fälle, Kontaktaufnahemu und Gespräche mit den betroffenen Familien sowie die Bereitstellung glaubwürdiger Protokolle über die berichteten Fälle.  
 
„Dass die Regierung Sri Lankas eine UN-Beobachtermission ablehnt, wirft ein schlechtes Licht auf ihren Einsatz für die Menschenrechte“, sagte Pearson. „Während die Regierung Zeit vertrödelt, werden viele Srilanker weiter den Preis dafür bezahlen.“  
 
Human Rights Watch forderte die Regierung von Sri Lanka auf:  
 
• unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Praxis des gewaltsamen Verschwindenlassens zu beenden, alle berichteten Fälle rückhaltlos aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen;  
 
• mit dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte zusammenzuarbeiten, um ein internationales Beobachtungsteam aufzustellen und einzusetzen, das über Verletzungen der internationalen Menschenrechtsstandards und des humanitären Rechts durch alle Konfliktparteien berichtet.  
 
Darüber hinaus rief Human Rights Watch die internationalen Partner Sri Lankas – insbesondere Indien und Japan – dazu auf, die Fortsetzung ihrer militärischen und nicht-humanitären Unterstützung Sri Lankas von erkennbaren Anstrengungen der Regierung abhängig zu machen, die Praxis des „Verschwindenlassens“ zu unterbinden und deren Straflosigkeit zu beenden. Dies schließt die Zustimmung zu einer internationalen Beobachtungsmission ein.  
 
Zeugenaussagen aus dem Bericht  
 
„Sie fingen an, Thiyagarajah zu schlagen. Sie zogen ihm sein T-Shirt aus und stopften es ihm in den Mund. Die Nachbarn liefen heraus, um zu helfen, doch sie schubsten sie aus dem Weg. Seine Frau weinte und schrie, und sie schlugen sie mit einem Gewehrkolben. Die Frau war im neunten Monat schwanger. Die Männer beschuldigten Thiyagarajah, er habe Bomben im Haus, und zwangen ihn, die Erde rund um sein Haus aufzugraben. Sie durchsuchten das Haus und stellten alles auf den Kopf, fanden aber nichts. Sie schlugen ihn so schlimm, dass er nicht gehen konnte – sie mussten ihn wegtragen. Sie nahmen ihn auf einem Motorrad mit.“  
– Ein Verwandter des 25-jährigen Thiyagarajah Saran aus East Puttur, Jaffna, der in der Nacht vom 20. Februar 2007 verschleppt wurde.  
 
„Die Dorfbewohner sagten mir, sie hätten gesehen, wie Pathinather und Anton vom Militär verhört wurden. Die Militärs bedrohten sie mit einer Waffe. Dann steckten die Militärs sie in den Powell [Fahrzeug] und luden auch die Fahrräder der beiden in den Wagen. Die Dorfbewohner konnten nicht viel sehen, weil die Armee ihnen befahl, auseinander zu gehen, und jetzt haben sie zu viel Angst, um mit jemandem über das, was sie gesehen haben, zu sprechen.“  
– Ein Verwandter des 21-jährigen Anton Prabanath, der am 17. Februar 2007 zusammen mit dem 24-jährigen Pathinather Prasanna aus Jaffna verschleppt wurde.  
 
„Als wir beim [Kodikamam-]Armeelager ankamen, sah ich das Fahrrad meines Neffen dort abgestellt. Es stand in der Nähe des Lagers, in der vom Militär kontrollierten Zone. Als wir die Soldaten fragten, leugneten sie, die beiden festgenommen zu haben, und als wir sagten, dass wir das Fahrrad gesehen hätten, wurden sie sehr wütend und begannen zu brüllen: „Wer hat euch gesagt, dass ihr dort hingehen und nachsehen sollt?! Wir schießen auf euch, wenn ihr euch diesem Ort jemals wieder nähert!“ Wir baten den GS [Grama Sevaka, offizieller Dorfvorsteher] und die Polizei, das Fahrrad zurückzuholen, aber das konnten sie nicht. Schließlich gab uns der Kommandeur des Lagers das Fahrrad zurück. Er sagte, dass die Leute, die unsere Verwandten verhaftet hätten, nicht mehr da seien, darum sollten wir einfach das Fahrrad nehmen und verschwinden.“  
– Ein Verwandter des 26-jährigen Thavaruban Kanapathipillai, der am 16. August 2006 zusammen mit dem 30-jährigen Shangar Santhivarseharam aus Kachai, Jaffna, verschleppt wurde.  
 
„Zwei uniformierte Männer kamen an unsere Tür. Sie waren bewaffnet. Ein weiterer Mann trug ein Army-T-Shirt und Jeans. Ich fragte sie, wohin sie meinen Mann bringen. Der Mann in Zivilkleidung zeigte mir eine Pistole. Ich fragte ihn noch einmal, wohin sie ihn bringen, und er zeigte mir wieder die Pistole. Dann nahmen sie ihn mit. Ich lief hinter ihnen her, und sie hatten zwei Lieferwagen, einen weißen und einen blauen.“  
– Die Ehefrau des 21-jährigen Ramakrishnan Rajkumar, der am 23. August 2006 aus Colombo verschleppt wurde.

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