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FIFA: Nicht genug gegen Arbeitsrechtsverletzungen in Katar

Auch ein Jahr nach Ende der WM keine Entschädigung für Arbeitsmigrant*innen

Arbeiter entfernen ein Gerüst am Al-Bayt-Stadion in Al Khor, Katar, Montag, 29. April 2019. © AP Photo/Kamran Jebreili

(Beirut) - Die FIFA und Katar haben es im vergangenen Jahr versäumt, gegen die Verletzung der Rechte von Arbeitsmigrant*innen entschieden vorzugehen, die die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar überhaupt erst ermöglicht haben, so Human Rights Watch heute. Auch haben die Familien Tausender Arbeitsmigrant*innen, die aus ungeklärten Gründen gestorben sind, bisher keine Entschädigung erhalten. Die Fußballweltmeisterschaft 2022 mag für die meisten Länder und auch die FIFA aus dem Blickfeld gerückt sein, doch die Menschen in Katar und in den Herkunftsländern der Arbeitsmigrant*innen leiden immer noch unter dem düsteren Vermächtnis der WM.

„Angesichts der verheerenden Menschenrechtsverletzungen in Katar hätte die FIFA Entschädigung für Lohndiebstahl und den Tod von Migranten leisten müssen“, sagte Michael Page, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten bei Human Rights Watch. „Indem die FIFA untätig bleibt, bringt sie den Arbeitern, die die Weltmeisterschaft überhaupt erst möglich gemacht haben, nur Verachtung entgegen.“

Vor der Austragung der Spiele im Jahr 2022 machten die katarischen Behörden und die FIFA falsche und irreführende Aussagen, indem sie behaupteten, dass die bestehenden Arbeitsschutzsysteme und Entschädigungsmechanismen in Katar ausreichen würden, um Abhilfe gegen diese weit verbreiteten Verstöße zu schaffen.

Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass Katar wichtige Arbeitsrechtsreformen – die von der Weltöffentlichkeit genau verfolgt wurden – zu spät oder nur lückenhaft umgesetzt hat und zahlreiche Arbeitsmigrant*innen aufgrund des eingeschränkten Geltungsbereichs dieser Reformen nicht berücksichtigt worden sind. Wie Human Rights Watch dokumentiert hat, werden, seitdem die Missstände in Katar nicht mehr im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen, die gleichen Arbeiter*innen, deren Rechte während der Fußballweltmeisterschaft 2022 verletzt worden waren, erneut auf die gleiche oder andere Weise ausgebeutet. Die Familien der Verstorbenen haben bis heute keine Entschädigung erhalten.

Das unverantwortliche Verhalten der FIFA gegenüber den Arbeitsmigrant*innen in Katar und die unzureichende Durchsetzung der Reformen durch Katar haben dazu geführt, dass viele der Arbeiter*innen nun angesichts der Flaute am Arbeitsmarkt nach der Fußball-WM keine Arbeit mehr haben oder keinen Lohn bekommen. Sie warten auch vergeblich auf die ihnen zustehenden Löhne und Leistungen. Human Rights Watch hat dokumentiert, dass diese Menschen nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, weil sie befürchten müssen, von dort aus keinen Zugang mehr zu den Löhnen und Rechten zu haben, derer sie beraubt wurden.

Ein in Katar ansässiger Arbeitsmigrant sagte, dass sein Unternehmen vor dem Hintergrund einer Auftragsflaute seine Mitarbeiter*innen nunmehr für einen langen, unbezahlten Urlaub nach Hause schickt. „Die Arbeiter erhalten 1.000 QAR [275 USD] und die Flugkosten, und ihnen wird gesagt, dass sie kontaktiert werden, wenn es Arbeit gibt“, sagte er.

So befinden sich Arbeiter*innen in einer Zwickmühle, denn sie können nicht kündigen, da ihnen für mehr als 10–15 Jahre Abfindungen bei Beschäftigungsende zustehen. Diese Leistungen summieren sich zu einer beträchtlichen Summe – ein Vermögen in ihren Heimatländern. Ein Arbeiter erklärte, dass die Taktik der Unternehmen, ihre Angestellten in einen Langzeiturlaub zu schicken, dazu führt, dass Arbeiter*innen monatelang auf ihren Lohn warten und ihnen nur die Hoffnung bleibt, in Zukunft vielleicht wieder einen Job zu bekommen. Viele Arbeitsmigrant*innen glauben, dass die Unternehmen auf diese Weise die Zahlung von Abfindungen bei Beschäftigungsende zu umgehen versuchen.

Das katarische Arbeitsgericht lässt sich mit der Bearbeitung der ausstehenden Fälle von Lohndiebstahl und nicht gezahlten Abfindungen an Arbeitsmigrant*innen vor und nach der Weltmeisterschaft weiterhin viel Zeit. Human Rights Watch hat auch mit Arbeiter*innen gesprochen, die zögern, Klage einzureichen. „Selbst wenn das Gericht zugunsten der Arbeiter entscheidet, ignorieren die Unternehmen die Gerichtsbeschlüsse und zahlen den Arbeitnehmern nicht das, was ihnen zusteht“, erklärte ein Arbeiter. „Unter diesen Umständen fehlt mir die Motivation vor Gericht zu ziehen.“

Es wurden auch Klagen gegen Unternehmen in Ländern außerhalb Katars angestrengt. So erhoben vierzig philippinische Arbeitsmigrant*innen vor Kurzem im US-Bundesstaat Colorado Klage gegen Jacobs Solutions Inc., ein US-amerikanisches Unternehmen, das Bauprojekte für vier WM-Stadien beaufsichtigt hat. Bei den Klagen geht es um zahlreiche mutmaßliche Verstöße, darunter nicht gezahlte Löhne, unwürdige Wohnverhältnisse, Beschlagnahmung von Pässen und Arbeit in extremer Hitze. Vierzehn der philippinischen Arbeiter*innen waren für Al Jaber tätig, ein Unternehmen, dessen Lieferkette unter anderen die Jacobs Solutions Inc. laut der Klageschrift „überwachte, leitete und kontrollierte“.

Jacobs Solutions erklärte im Oktober gegenüber dem Internetportal Quartz, dass es die Klage nicht erhalten oder im Detail geprüft hätte, betonte aber sein Engagement für die „Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde“.

Im Jahr 2022 berichtete Human Rights Watch, dass Al Jaber Personen mit einem befristeten Visum eingestellt habe, womit sie gezwungen waren, vor Ablauf ihrer Zweijahresverträge nach Hause zurückzukehren. Die Arbeiter*innen hatten exorbitante Anwerbegebühren von bis zu 1.570 US-Dollar bezahlt. Al Jaber hingegen bestritt gegenüber Human Rights Watch, solche Gebühren erhoben zu haben.

Im Oktober 2023 erklärten zwei ehemalige Al-Jaber-Beschäftigte gegenüber Human Rights Watch, dass die Darlehen, die sie zur Zahlung der Anwerbegebühren aufgenommen hatten, immer noch nicht abbezahlt sind. Ein Arbeiter, der nach 10 Monaten Arbeit in Katar zurückgeschickt wurde, sagte: „Ich mache jetzt Gelegenheitsjobs. Meine zehn Monate in Katar waren reine Verschwendung, weil ich mehr bezahlt als verdient habe.“

Die FIFA und die katarischen Behörden hätten die Möglichkeit gehabt, Abhilfe gegen einige dieser Missstände zu schaffen, etwa in Form einer finanziellen Entschädigung, so Human Rights Watch. Sie hätten auf dem begrenzten Erfolg des katarischen Unterstützungs- und Versicherungsfonds für Arbeitnehmer*innen aufbauen und die Unterstützung in Form von Entschädigungszahlungen ausweiten können.

Eine Person, die über den Fonds Geld erhielt, sagte gegenüber Human Rights Watch: „Als ich unerwartet einen Anruf [von den katarischen Behörden] erhielt, um meinen Scheck [für nicht gezahlte Löhne] nach monatelangen Nachfragen abzuholen, konnte ich es kaum glauben.“ Er überwies das Geld sofort an seine Familie, die Kredite für die Ausbildung seiner Kinder und die Gesundheitsausgaben der Eltern aufgenommen hatte.

Es gab noch einige wenige andere Anstrengungen, den Verletzungen der Rechte von Arbeitsmigrant*innen in Katar entgegenzuwirken. Dazu gehört das Universal Reimbursement Scheme, das der Oberste Rat für Organisation und Vermächtnis (Supreme Committee for Delivery and Legacy) in Katar eingerichtet hatte, eine Körperschaft, die für die Planung und Bereitstellung der WM-Infrastruktur verantwortlich war und in dessen Rahmen Arbeiter*innen die Anwerbegebühren erstattet wurden. Einige Unternehmen führten Lebensversicherungen ein, die Familien von verstorbenen Arbeitsmigrant*innen unabhängig von der Ursache des Todes oder dem Sterbeort entschädigten. Allerdings haben das bisher nur 23 Unternehmen getan.

Die FIFA und Katar haben sich nicht bemüht, auf diesen kleinen positiven Initiativen aufzubauen, um eine verbesserte Lage der Arbeitsmigrant*innen zu einem Teil des Vermächtnisses der Fußballweltmeisterschaft 2022 werden zu lassen. Die Forderung nach Abhilfe im Vorfeld der Spiele erhielt breite Unterstützung von Fußballverbänden, Sponsoren und Politiker*innen weltweit. In den Monaten vor der Eröffnung der WM 2022 gab die FIFA in einer Reihe von Erklärungen und Briefings an, dass sie Arbeiter*innen für Rechtsverletzungen entschädigen werde, etwa bei der Anhörung vor dem Europarat und vor der Arbeitsgruppe des Europäischen Fußballverbands UEFA zu den Arbeiterrechten in Katar.

Am Vorabend des Turniers reagierte FIFA-Präsident Gianni Infantino auf die Forderungen nach Entschädigung der Arbeiter*innen mit der Aussage, dass der Unterstützungs- und Versicherungsfonds für Arbeitnehmer*innen des katarischen Arbeitsministeriums für die Entschädigung sorgen werde, was jedoch nicht der Fall ist. Die Tatsache, dass Migrant*innen seit dem Ende der Weltmeisterschaft um ihre Löhne kämpfen müssen, zeigt, dass die Zusagen der FIFA reine Lügen und dass viele der Missstände vorhersehbar und vermeidbar waren.

Ein Sohn eines verstorbenen Bauarbeiters aus Katar berichtete Human Rights Watch: „Mein Vater hat früher die Familie finanziell unterstützt, und jetzt bin ich allein. Meine Mutter wird immer älter, und ich habe ein Neugeborenes … die Kosten steigen. Es ist sehr schwierig, sich allein um meine Familie zu kümmern.“

Laut Human Rights Watch wiederholt die FIFA offensichtlich die schwerwiegenden Fehler, die sie auch schon in den 12 Jahren begangen hat, in denen die Vorbereitungen für die WM 2022 liefen. Und jetzt hat die FIFA die Vergabe der Weltmeisterschaft 2034 an Saudi-Arabien quasi bestätigt, ein Land, das auf über 13,4 Millionen Arbeitsmigrant*innen angewiesen ist, von denen viele aus denselben Ländern stammen wie die Arbeiter*innen in Katar.

„Viele Familien werden im Unklaren darüber gelassen, woran ihre Angehörigen gestorben sind oder wie sie sich die nächste Mahlzeit leisten können“, so Page. „Die FIFA und die katarischen Behörden lenken weiterhin von ihrem eklatanten Versagen beim Schutz der Arbeiter ab, anstatt sich auch nur die geringste Mühe zu geben, genau die Arbeiter zu entschädigen, die ihnen riesige Einnahmen beschert haben.“

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