(Almaty) – Repressive Gesetze und Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung und einige Ölfirmen verletzen die Arbeiterrechte von Tausenden Arbeitern der boomenden Erdölbranche Kasachstans, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichen Bericht. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2011 im Westen von Kasachstan, die nach einem ausgedehnten Streik durch Ölarbeiter eskalierten, machen ein größeres Problem deutlich: die allgemeine Missachtung von Arbeiter- und Menschenrechten, vor denen auch Kasachstans Wirtschaftspartner und Investoren nicht die Augen verschließen sollen.
Der 153-seitige Bericht „Striking Oil, Striking Workers: Violations of Labor Rights in Kazakhstan’s Oil Sector” analysiert die Strategie, mit der die kasachischen Behörden und drei Firmen der Erdöl- und Gasbranche im Westen Kasachstans Arbeiterrechte beschneiden. Nachdem die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt worden waren, traten die Ölarbeiter im Mai 2011 in einen friedlichen Arbeitsstreik. Regierungsbehörden zerschlugen den Streik in einem der Unternehmen im Juni. Arbeiter der beiden anderen Firmen setzen den Streik friedlich bis zum 16. Dezember 2011 fort, bis es zu Ausschreitung zwischen der Polizei und Zivilisten – unter anderem Ölarbeiter – in Zhanaosen, einer Stadt im Westen Kasachstans, kam. Zwölf Menschen starben durch Kugeln der Polizeibeamten.
„Erdöl treibt Kasachstans wachsende Wirtschaft an, aber die Regierung und große Unternehmen missachten grundlegende Rechte der Arbeiter, die durch ihre schwere und oft gefährliche Arbeit das kasachische Öl auf den Markt bringen,“ sagt Mihra Rittmann, Zentralasienexpertin von Human Rights Watch und Autorin des Berichts. „Arbeiterrechte werden mit Füßen getreten und die Arbeiter haben keine Stelle, an die sie sich wenden können, um Arbeitsstreitigkeiten zu lösen.“
Diese Entwicklungen haben ernsthafte Auswirkungen auf ausländische Unternehmen und Regierungen, die in Kasachstan investieren wollen. Die Europäische Union, die an einem Ausbau der Beziehungen zu Kasachstan arbeitet, sowie einige ihrer Mitgliedstaaten, die Großinvestoren in dem Land sind, sollen besonders aufmerksam sein und die Verbesserung der Menschrechtssituation einfordern.
Die drei Firmen, die in dem Bericht erwähnt werden, sind KarazhanbasMunai JSC, ein Gemeinschaftsunternehmen der staatlicher Öl- und Gasfirma KazMunaiGas Exploration and Production (KMG EP) und Chinas staatseigener CITIC Gruppe; Ersai Caspian Contractor LLC, eine Ölfirma, die zu Teilen der italienischen Saipem S.p.A gehört (Teil der-Eni Gruppe); und OzenMunaiGas, eine Tochtergesellschaft von KMG EP.
Der Bericht basiert auf zwei Forschungsreisen in den Westen Kasachstans im August und Oktober 2011. Er stützt sich auf 64 Interviews mit Ölarbeitern, Gewekschaftsaktivisten der drei Unternehmen und anderen Experten. Human Rights Watch kontaktierte auch die betroffenen Firmen. Auf den Brief, in dem Human Rights Watch die Ergebnisse der Reise darlegte und jede Firma um eine Stellungnahme bat, antworteten Ersai Caspian Contractor und OzenMunaiGas, dass sie gemäß nationalen Gesetze gehandelt hätten. KarazhanbasMunai JSC antwortete nicht.
In Interviews mit Human Rights Watch beschrieben Arbeiter der drei Firmen Menschenrechtsverletzungen in den Monaten vor und während des Streiks im Mai 2011. Die Arbeiter berichteten,die Firmen hätten verhindern wollen, dass sie sich gemeinschaftlich für ihre Sache einsetzten konnten. Außerdem kam es zu Massenentlassungen nach den friedlichen Streiks. Regierungsbehörden versuchten, die friedlichen Streiks aufzulösen – einmal unter Anwendung von Gewalt – und nahmen Gewekschaftsführer unter politisch motivierten Anschuldigungen fest, entgegen jeglicher Standards für einen fairen Prozess. Zudem erschwerten umständliche Regularien für kollektive Lohnverhandlungen und ein umfassendes Verbot von Streiks für Arbeiter in der Ölindustrie nach kasachischem Gesetz die Ausübung von Arbeiterrechten.
Ein ehemaliger Arbeiter von Ersai Caspian Contractor berichtete Human Rights Watch, was es bedeutet, Teil einer unabhängigen Gewerkschaft zu sein: „Die Firma ignorierte unsere Gewerkschaft komplett. Sie wollte keine Gewerkschaft, die den Leuten die Augen öffnet, die rechtliche Beratung anbietet und an die sich Arbeiter wenden können, um ihre Rechte zu verteidigen. Es ist einfacher für sie, wenn die Arbeiter nichts wissen und einfach nur ihren Job machen, schweigend.“
Arbeiter aller drei Firmen versuchten wiederholt, mit dem Firmenmanagement zu verhandeln, um Gehalts- und andere Vertragsstreitigkeiten zu regeln. Sie wurden entweder ignoriert oder offen bedroht. Arbeiter berichteten etwa, dass KarazhanbasMunai und Ersai Caspian Contractor den Gewerkschaftsführern untersagten, das Betriebsgelände zu betreten, um mit Arbeitern zu sprechen und Gewerkschaftstreffen zu veranlassen. Vertreter von Ersai Caspian Contractor bedrängten und bedrohten Arbeiter, die an einer rechtmäßigen Gewerkschaftsversammlung teilgenommen hatten, indem sie diese verhörten, in einigen Fällen gemeinsam mit der Polizei.
Nachdem ihr monatelanger Einsatz für eine einvernehmliche Klärung der Streitigkeiten vereitelt worden war, traten Angestellte aller drei Firmen im Mai 2011 in Hunger- und Arbeitsstreiks. Zeitweise protestierten mehrere tausend Menschen.
Das Streikrecht ist eines der wichtigsten Instrumente von Arbeitern und Gewerkschaften, um ihre Interessen zu fördern und zu verteidigen. Doch die Behörden griffen bei den friedlichen Streiks ein und hielten Gewerkschaftsführer ohne rechtsstaatliches Verfahren bis zu zehn Tage fest. Die Behörden erhoben auch Anklage gegen einen Ölarbeiter der Firma OzenMunaiGas und gegen Natalia Sokolova, eine Gewerkschaftsanwältin bei KarazhanbasMunai, die im August 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, weil sie mit Arbeitern über Gehaltsunterschiede gesprochen hatte. Sie wurde später freigelassen.
Insgesamt wurden mehr als 2.000 Arbeiter während der Streiks von den drei Firmen entlassen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) bestätigte, dass Kündigung als Vergeltungsmaßnahme eine illegale Diskrimierung am Arbeitsplatz darstellen.
„Die Rechte der Ölarbeiter wurden sowohl von den Arbeitgebern als auch von der kasachischen Regierungung missachtet,“ sagt Rittmann. „Es ist schockierend, dass Arbeitern maßenhaft gekündigt wird oder sie ins Gefängnis geworfen werden, nur weil sie an friedlichen Streiks teilgenommen haben.“
Lokale Behörden zerschlugen den Streik der Ersai Caspian Contractor Arbeiter Ende Juni 2011. Anfang Juli lösten Polizeibeamte gewaltsam eine Versammlung der streikenden OzenMunaiGas-Arbeiter auf und schlugen dabei einem Angestellten mit einem Schlagstock auf die Beine. Trotz dieser Ausschreitungen setzten die Angestellten von OzenMunaiGas und KarazhanbasMunai ihren Streik unbeirrt fort, bis es am 16. Dezember 2011 zu den Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten auf dem zentralen Platz in Zhanaozen kam.
An diesem Tag beschlagnahmten nicht identifizierte Männer, gekleidet mit Jacken der Ölfirma, eine Bühne, die für den kasachischen Unabhängigkeitstag errichtet worden war. Unbekannte setzten mehrere Gebäude in Brand und plünderten Geschäfte. In Reaktion auf dieses Chaos eröffneten Polizei und Regierungskräfte das Feuer auf die streikenden Ölarbeiter. Nach Regierungsangaben kamen dabei zwölf Menschen ums Leben und Dutzende wurden verletzt. Drei weitere Menschen starben bei den Ausschreitungen. Insgesamt wurden 35 Polizisten verletzt.
Im Anschluß an die Ausschreitungen gingen die kasachischen Behörden dann gezielt gegen die Ölarbeiter vor, die am stärksten in der Öffentlichkeit erschienen waren, und gegen Oppositionellen, die die Streiks unterstützt hatten. Ein Verfahren gegen führende Oppositionnelle und einen Ölarbeiter, denen vorgeworfen wird, die Dezember-Ausschreitungen initiiert zu haben, läuft immer noch. Nach internationalen Menschenrechtsstandards ist es legitim, entlassene Arbeiter zu überreden, friedliche Proteste fortzusetzen. Zudem besteht große Sorge, dass das Verfahren nicht internationalen Standards entspricht.
Das Recht auf Versammlungsfreiheit, Lohnverhandlungen und Streik sind in den Konventionen der ILO verankert, die auch Kasachstan unterschrieben hat. Wenn sich das Firmenmanagement in Lohnverhandlungen einmischt und als Repressalien für friedliche Streiks Mitarbeiter entlässt, so verstößt dies ebenso gegen internatioanle Standards wie der Versuch der Regierung, die Streiks aufzulösen und sie generell zu verbieten.
Human Rights Watch fordert die kasachischen Behörden auf, die Arbeitsgesetze so zu ändern, dass sie vollständig internationalen Standards entsprechen und kollektive Lohverhandlungen, Versammlungsfreiheit und das Recht auf Streik garantiert werden. Zudem sollen Gewerkschaftsaktivisten und Arbeiter vor nationalen und internationalen Unternehmen geschützt werden, wenn diese Gewerkschaftsaktivitäten behindern wollen.
Die Behörden sollen weder das Strafrecht noch andere Gesetze missbrauchen, um gegen legitime Gewerkschaftsaktivitäten vorzugehen.
Internationale Unternehmen, die in Kasachstan aktiv sind oder in dem Land investieren, sollen sicher gehen, dass ihren Arbeitern, Angestellten von Tochtergesellschaften oder Geschäftspartnern grundlegende Rechte wie die Koalitionsfreheit, das Recht auf kollektive Lohnverhandlung und das Streikrecht gewährt werden. Die Unternehmen sollen zudem gewährleisten, dass Gewerkschaften und Arbeiter in ihren Aktivitäten nicht eingeschränkt werden, wenn sie ihre Rechte verteidigen wollen, und dass alle Arbeiter umfassend über ihrer Rechte informiert sind.
Die internationalen Partner Kasachstans sollen darauf bestehen, dass das Land die internationalen Menschenrechts- und Arbeitsstandards achtet, zu denen es sich verpflichtet hat. Vor allem die Europäische Union, zu der Kasachstan seine Beziehungen durch eine erweiterte Partnerschafts- und Kooperationsvereinbarung ausbauen will, soll konkrete und messbare Standards an die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Kasachstan setzen und nur dann die Beziehungen ausbauen, wenn die Standards erfüllt sind.
In ihrem kürzlich verabschiedeten Aktionsplan für Menschenrechte hat sich die EU verpflichtet, Menschenrechte ohne Ausnahme in allen Bereichen der auswärtigen Politik zu fördern, vor allem aber in den Bereichen Handel und Investitionen.
„Die EU kann viel mehr für den Schutz der Arbeiterrechte in Kasachstan tun, wo viele EU-Mitgliedstaaten Großinvestoren sind“, sagt Rittmann. „Jetzt muss gehandelt werden, damit europäische Unternehmen nicht von dem restriktiven Vorgehen gegen Arbeiter und der mangelnden Durchsetzung von Arbeiterrechten durch die Regierung profitieren.“
Die langwierigen und ungelösten Arbeitsstreitigkeiten und Streiks sowie die Dezember-Ausschreitungen in Zhanaozen sind beispiellos in der Geschichte des ölreichen Kasachstan, das selbst mit einem stabilen Investitionsklima und mit seiner Verläßlichkeit als Geschäftpartner wirbt. Die Regierung hat bedeutende Ressourcen darauf verwendet, dieses Bild zu pflegen, unter anderem mit Hilfe des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair als Regierungsberater für Wirtschaft und andere Fragen.
Diese Entwicklungen haben ernsthafte Folgen für internationale Unternehmen und Regierungen, die in Kasachstan investieren wollen.
„Es ist riskant, mit einer Regierung zusammenzuarbeiten, die Arbeiter bedroht, schikaniert und einsperrt, wenn sie um ihre Rechte kämpfen“, so Rittmann. „Unternehmen und Regierungen, die sich für Kasachstan wegen seiner Ölressourcen interessieren, sollen sich der Menschenrechtsprobleme im Land bewusst sein und sich nicht selbst an Menschenrechtsverletzungen beteiligen. Vielmehr sollen sie die Rechte der Arbeiter schützen.“