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Libanon/Zypern: Pullbacks, Ausweisungen und Abschiebungen von Geflüchteten nach Syrien

EU muss Hilfszahlungen für Grenzkontrollen überdenken und Achtung der Menschenrechte stärker überwachen

Boote der Libanesischen Armee suchen auf See nach Überlebenden am 24. April 2022, nachdem ein Boot mit Menschen auf der Flucht in den Gewässern vor der nördlichen Stadt Tripoli gesunken ist. © 2022 CHINE NOUVELLE/SIPA/Shutterstock

(Beirut) – Das libanesische Militär arbeitet mit zypriotischen Behörden zusammen, um Geflüchtete daran zu hindern, Europa zu erreichen und sie trotz großer Gefahren, die ihnen dort drohen, nach Syrien abzuschieben, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 90-seitige Bericht, „‚I Can’t Go Home, Stay Here, or Leave‘: Pushbacks and Pullbacks of Syrian Refugees from Cyprus and Lebanon“ (dt. etwa: ‚Ich kann weder heimkehren, noch bleiben oder gehen‘: Pushbacks und Pullbacks von syrischen Geflüchteten aus Zypern und dem Libanon) dokumentiert die Lage syrischer Geflüchteter im Libanon, die verzweifelt versuchen, Europa zu erreichen, und wie das libanesische Militär sie abfängt und ohne Asylverfahren kollektiv wieder nach Syrien abschiebt. In Kooperation damit haben die zypriotische Küstenwache und andere zypriotische Sicherheitskräfte Syrer*innen, deren Boote Zypern erreichten, zurück in den Libanon geschickt, und zwar ohne ihren Geflüchtetenstatus zu prüfen oder das Risiko zu berücksichtigen, dass sie von dort zurück nach Syrien gebracht werden könnten. Viele der von Zypern in den Libanon zurückgeschickten Personen wurden anschließend sofort von der libanesischen Armee nach Syrien abgeschoben.

Human Rights Watch hat 16 syrische Geflüchtete befragt, die zwischen August 2021 und September 2023 versucht hatten, den Libanon irregulär per Boot zu verlassen. Human Rights Watch hat auch von den Befragten vorgelegte Fotos und Videos überprüft und verifiziert, auf Positionsdaten von Flugzeugen und Schiffen zugegriffen, um die Berichte der Befragten zu bestätigen, und Anträge auf Zugang zu Informationen gestellt, um Unterlagen zu EU-Finanzhilfen einzusehen. Human Rights Watch hat außerdem mehrere Fälle von Menschen dokumentiert, die zwischen August 2021 und September 2023 zurückgeschickt wurden. Libanesische Behörden haben Human Rights Watch gegenüber allerdings nur bestätigt, dass sie im April 2024 Syrer*innen, die aus Zypern zurückkehrt waren, ausgewiesen haben. Das libanesische Militär kündigte im August 2024 öffentlich neue Pullbacks an.

„Der Libanon hindert syrische Geflüchtete daran, das Land zu verlassen, um anderswo Schutz zu suchen, und schiebt sie dann gewaltsam nach Syrien ab. Damit verstößt das Land gegen das grundlegende Verbot, Geflüchtete dorthin zurückzuschicken, wo sie Verfolgung ausgesetzt sind. Und die EU unterstützt das auch noch mit ihren Hilfsgeldern“, erklärte Nadia Hardman, Expertin im Bereich Flüchtlings- und Migrantenrechte bei Human Rights Watch. „Zypern verstößt ebenso gegen dieses Verbot, indem es Geflüchtete zurück in den Libanon schickt, wo sie Gefahr laufen, nach Syrien abgeschoben und dort verfolgt zu werden.“

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben zwischen 2020 und 2023 verschiedenen libanesischen Sicherheitsbehörden bis zu 16,7 Millionen Euro für Grenzsicherheitsmaßnahmen zur Verfügung gestellt, die den Libanon vor allem bei der Eindämmung der irregulären Migration unterstützen sollen. Erst im Mai 2024 wurde dem Libanon ein Finanzhilfepaket in Höhe von 1 Milliarde Euro bis 2027 zugewiesen, das auch Mittel für „die libanesischen Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte umfasst, einschließlich Ausrüstung und Ausbildung für die Grenz- und Migrationssteuerung und die Bekämpfung von Menschenhandel und Schleuserkriminalität“.

Human Rights Watch hat die Ergebnisse veröffentlicht und 12 einschlägige Stellen zur Stellungnahme aufgefordert, darunter die Regierungen des Libanon und Zyperns, EU-Institutionen und -Agenturen sowie private Einrichtungen. Zehn von ihnen haben darauf geantwortet.

Die zypriotischen Behörden haben Hunderte von syrischen Asylsuchenden kollektiv ausgewiesen, ohne ihnen Zugang zu Asylverfahren zu gewähren, und sie auf Schiffe gezwungen, die direkt zurück in den Libanon fuhren. Die Ausgewiesenen gaben an, dass Offiziere der libanesischen Armee sie direkt an syrische Soldaten und nicht identifizierte bewaffnete Männer in Syrien übergeben hätten.

Eine 44-jährige Syrerin berichtete, dass Beamt*innen der zyprischen Küstenwache, nachdem diese ihr Boot abgefangen hatte, die Menschen darauf „gewaltsam zusammentrieben und [auf ein Schiff] bugsierten“, das zurück in den Libanon fuhr. Ihren Mann hätten sie mit einem Elektroschocker angegriffen und einem Schlagstock geschlagen. „Es lief überall Blut aus seiner Nase und seinem Mund“, sagte sie. Nach ihrer Rückkehr in den Libanon habe sie die „Armee vom Hafen […] in ein Niemandsland zwischen der [syrischen und libanesischen] Grenze getrieben […] und aufgefordert, auf die andere Seite zu rennen“. Wie die Frau erklärte, habe die syrische Armee sie und ihre Familie neun Tage lang festgehalten.

In Syrien angekommen, wurden die ausgewiesenen Geflüchteten nicht nur von der syrischen Armee festgehalten, sondern auch von bewaffneten Männern zur Zahlung von Geld gezwungen, um sie zurück in den Libanon zu schmuggeln.

Der Libanon ist das Land mit den meisten Geflüchteten pro Kopf in der Welt, darunter 1,5 Millionen Syrer*innen. Gleichzeitig wird der Libanon von mehreren Krisen erschüttert, die zu katastrophalen sozioökonomischen Bedingungen für alle dort lebenden Menschen geführt haben. Angesichts dieser Lage suchen viele syrische Geflüchtete den Weg nach Europa. Da es keine legalen Migrationswege gibt und die Angst vor Verfolgung in Syrien groß ist, sehen viele der Befragten in der irregulären Migration mit dem Boot den einzigen Weg zu einem sicheren, normalen Leben.

Wie die libanesische Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, die die Einreise und den Aufenthaltsstatus von Ausländer*innen kontrolliert, berichtete, wurden zwischen dem 1. Januar 2022 und dem 1. August 2024 auf 15 Booten 821 Syrer*innen festgenommen oder zurückgeschickt, die den Libanon verlassen wollten.

In einem Fall rettete die libanesische Armee in einer gemeinsamen Rettungsaktion mit der UN-Friedenstruppe im Libanon 200 Passagiere aus einem sinkenden Boot und brachte sie am 1. Januar 2023 in den libanesischen Hafen Tripoli zurück. Anschließend wurden die Syrer*innen von der Armee über den Grenzübergang Wadi Khaled im Nordlibanon kollektiv abgeschoben. Die Befragten sagten, sie hätten sowohl die libanesische Armee als auch die UN-Beamt*innen wiederholt angefleht, sie nicht in den Libanon zurückzubringen, weil ihnen dort die Abschiebung nach Syrien drohe.

Andere Befragte, deren Boote zypriotische Gewässer erreichten, berichteten, dass die zypriotische Küstenwache mit gefährlichen Manövern versuchte, die Boote abzufangen. In einem Fall habe sie ein Boot erst abgefangen und dann über Nacht treiben gelassen, ohne den Menschen an Bord Nahrung oder andere Hilfe anzubieten. Einem unbegleiteten 15-jährigen Jungen wurden die Handgelenke gefesselt und er wurde auf ein zypriotisches Schiff verfrachtet, das ihn direkt in den Hafen von Beirut zurückbrachte. Anschließend wies das Militär das Kind zusammen mit einer Gruppe anderer Syrer*innen unverzüglich über den Grenzübergang Masnaa nach Syrien aus.

Diese Kollektivausweisungen verstoßen gegen die Verpflichtungen des Libanon als Vertragspartei der UN-Konvention gegen Folter und gegen das völkerrechtlich verankerte Non-Refoulement-Prinzip, das die zwangsweise Ausweisung oder Rückführung von Personen verbietet, wenn ihnen Folter oder Verfolgung drohen. Die Inhaftierung und Misshandlung von Kindern, die Trennung von ihren Familien und andere Rechtsverletzungen verstoßen gegen die Verpflichtungen des Libanon im Bereich der Kinderrechte.

Zyperns Pushbacks sind Kollektivausweisungen, die nach der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten sind, und sie verstoßen gegen das Verbot der indirekten Abschiebung, Kettenabschiebung oder Abschiebungen durch Drittstaaten.

Dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge, das mit der Gewährung von internationalem Schutz und humanitärer Hilfe für Geflüchtete beauftragt ist, ist die Sicherheitslage in Syrien für eine zwangsweise Rückführung zu schlecht und eine freiwillige Rückkehr werde weder erleichtert noch unterstützt.

Human Rights Watch hat festgestellt, dass die EU und einige ihrer Mitgliedstaaten beträchtliche Mittel für den Grenzschutz im Libanon bereitgestellt haben, ohne sicherzustellen, dass die EU-Gelder nicht dazu missbraucht werden, Menschen jetzt oder in Zukunft unrechtmäßig abzuschieben.

„Die EU hat den Libanon lange Zeit dafür belohnt, Migranten mithilfe von Migrationssteuerungsmaßnahmen davon abzuhalten, nach Europa zu kommen“, so Hardman. „Anstatt Rechtsverletzungen auszulagern, sollten die EU und andere Geber sofort direkte, unabhängige Mechanismen einrichten, um die Einhaltung der Menschenrechte bei libanesischen Grenzschutzmaßnahmen zu überwachen.“

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