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Um sicherzustellen, dass Geflüchtete Schutz finden können, müssen Staaten das Recht auf Asyl garantieren und ihre Verpflichtungen im Rahmen des internationalen Flüchtlingsschutzsystems einhalten. Diese Schutzpflicht trifft alle EU-Mitgliedstaaten nach Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta. Die jüngsten und zunehmenden Versuche der EU und ihrer Mitgliedstaaten, sich ihrer Verantwortung im Asylbereich zu entziehen, indem sie Asylverfahren und Flüchtlingsschutz auslagern, bergen jedoch die Gefahr, das internationale Schutzsystem zu untergraben. Die unterzeichnenden Menschenrechts- und humanitären Organisationen sind angesichts dieser Entwicklungen alarmiert und fordern die EU und ihre Mitgliedstaaten dringend auf, das Recht auf territoriales Asyl in Europa zu schützen.

Die Diskussionen über die Externalisierung von Asyl sind nicht neu und wurden im Laufe der Jahre immer wieder kritisiert, angefochten und abgelehnt. Die Europäische Kommission selbst schloss 2018 die rechtliche Machbarkeit solcher Modelle aus und bezeichnete sie als „weder wünschenswert noch machbar“. Der weltweite Schutzbedarf ist höher denn je, und Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen nehmen 75 % der weltweiten Geflüchteten auf. Trotzdem gab es in letzter Zeit vermehrt Vorschläge, die Bearbeitung von Asylanträgen oder gar die Verantwortung für die Gewährung von Flüchtlingsschutz auf Nicht-EU-Länder zu verlagern.

Italien beispielsweise versucht derzeit, die Asylanträge bestimmter Gruppen von Asylbewerber*innen außerhalb seines Hoheitsgebiets, in Haftzentren in Albanien, zu bearbeiten – mit dem Risiko einer langen, automatischen Inhaftierung, der Verweigerung des Zugangs zu einem fairen Asylverfahren mit den erforderlichen Verfahrensrechten und einer verzögerten Ausschiffung von auf See geretteten oder abgefangenen Personen. Andere Länder, darunter Dänemark and Deutschland, prüfen die Durchführbarkeit eines solchen Vorgehens. 15 EU-Mitgliedstaaten und einige Fraktionen haben ähnliche kurzsichtige Maßnahmen zur Verlagerung von Asylverfahren außerhalb des EU-Gebietes befürwortet und die Europäische Kommission ermutigt, nach Wegen zu suchen, um dies durch weitere Gesetzesreformen, wie etwa eine Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“, zu erleichtern.

Diese Versuche müssen im Zusammenhang mit zeitgleichen Bemühungen gesehen werden, durch Partnerschaftsabkommen mit Drittländern zu verhindern, dass Asylbewerber*innen von diesen Ländern aus das Hoheitsgebiet der EU erreichen. Dabei wird die Menschenrechtslage in den Vertragsstaaten wenig bis gar nicht berücksichtigt. In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission unter Umgehung der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle sowie des europäischen Rechts immer mehr umstrittene und undurchsichtige Abkommen mit Nicht-EU-Ländern geschlossen. Diese Länder erhalten dabei große Geldsummen, ohne sich effektiven Menschenrechtsgarantien oder Kontrollmechanismen unterwerfen zu müssen. Bei dem Versuch, die Migration einzudämmen und Geflüchtetenbewegungen in Richtung EU zu stoppen, wird auf die dabei verursachten menschlichen Leiden keine Rücksicht genommen.

Menschliches Leid durch Externalisierung

Die Versuche, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, sind eine Ausprägung davon, dass sich die Staaten ihrer rechtlichen Verantwortlichkeit für schutzbedürftige Menschen in eklatanter Weise entziehen. Die Auslagerung von Asylverfahren und Flüchtlingsschutz an Drittstaaten, die keinen wirksamen Schutz bieten können oder bereits in unverhältnismäßig hohem Maße Geflüchtete aufgenommen haben, ist mit dem Sinn und Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention unvereinbar. Zudem werden hierdurch justizielle Zuständigkeit und rechtliche Verantwortlichkeit verwischt, was im Falle von Rechtsverletzungen den Zugang zur Justiz erschwert. Wo immer die Externalisierung von Asylverfahren erprobt wurde, hat sie unermessliches menschliches Leid und Menschenrechtsverletzungen verursacht.

Vor allem Australiens “Offshore“-Flüchtlingslager zeigt, wie diese Verfahren zu langer Haft und eingeschränkter Bewegungsfreiheit geführt haben, was der psychischen und physischen Gesundheit von Schutzsuchenden schweren Schaden zufügt. In der Folge kommt es zu anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, darunter unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Vernachlässigung, fehlender Zugang zu Rechtsbeistand, mangelnde Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse und die Trennung von Familien. Dies hätte als Warnung dienen sollen. Doch neuere Versuche – wie das Asylabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda, das noch nicht in Kraft ist, nachdem der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs es für rechtswidrig erklärt hat, und das auf jeden Fall nicht in nennenswertem Umfang umgesetzt werden dürfte – haben bereits dazu geführt, dass Menschen in Haft genommen wurden und sich in einem schädlichen rechtlichen Schwebezustand befinden, während ihnen die Abschiebung droht. Die Abschiebung von Asylbewerber*innen nach Ruanda und in andere Drittstaaten widerspricht den Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen zum Schutz von Flüchtlingen und untergräbt den Rechtsstaat.

Die falschen Versprechen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die Einhaltung von Menschenrechten im Rahmen von Externalisierungsabkommen zu gewährleisten, sind nicht mehr als leere Worte. Wie die umfangreiche Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Partnerländern wie Libyen zeigt, verfügen die EU und ihre Mitgliedstaaten über keine angemessenen Instrumente und Kompetenzen, um Menschenrechtsstandards außerhalb des EU-Gebietes wirksam zu überwachen oder durchzusetzen.

Neben den schrecklichen Kosten für die betroffenen Menschen haben diese Verfahren auch verheerende Auswirkungen auf den Verwaltungsaufwand und die Kosten der Asylsysteme. Der Versuch des Vereinigten Königreichs, Menschen zwangsweise nach Ruanda abzuschieben, dürften pro überstellte*r Asylbewerber*in schwindelerregende 1,8 Millionen Pfund kosten. Dies ist nicht nur eine nicht zu rechtfertigende Verschwendung öffentlicher Gelder, sondern auch eine verpasste Gelegenheit, das Geld in faire und humane Asylsysteme und in die aufnehmenden Kommunen zu investieren und dadurch den Asylsuchenden wirklich zu helfen.

Auswirkungen der Vermeidung von Verantwortung

 

Die politische Durchführbarkeit der Externalisierung von Asylverfahren ist ebenfalls stark umstritten, da Drittstaaten zögerlich sind, die Verantwortung für Asylbewerber oder Flüchtlinge zu übernehmen, die Europa nicht aufnehmen will. Die Auslagerung von Asylverfahren und Flüchtlingsschutz sendet ein gefährliches Signal an Länder des globalen Südens, dass die EU-Länder sich weigern, ihrer Verantwortung gegenüber Geflüchteten gerecht zu werden und ihren fairen Anteil zu leisten. Weit davon entfernt, internationale Solidarität zu zeigen, versucht die EU, ihre Verantwortung weiter auf Länder abzuwälzen, die bereits die meisten Geflüchteten mit oft weitaus geringeren Mitteln aufnehmen – eine Politik, die dem Ausbau des weltweiten Einflusses der EU, dem erklärten Ziel der Kommission, nicht unbedingt förderlich ist. Gleichzeitig reduziert die EU die nicht-migrationsbezogene Unterstützung, die sie den Partnerländern gewährt, indem sie die ohnehin schon knappen Entwicklungshilfe auf Maßnahmen zur Verhinderung von Migration

umleitet und einen Großteil des Geldes für inländische Programme ausgibt. Von der durch EU-Staaten geleisteten öffentlichen Entwicklungshilfe, die unter die OECD-Kriterien für „Official Development Assistance“ (ODA) fällt, werden fast 17 % für die Flüchtlingshilfekosten der Geberländer aufgewendet, d.h. sie verlassen deren Territorium nicht. Handelsbeziehungen oder Visavereinbarungen sind ebenfalls zur Verhandlungsmasse in Verbindung mit umstrittenen Abkommen mit Nicht-EU-Ländern geworden, um diese zur Erfüllung der EU-Migrationsziele zu drängen.

Dieses fehlende Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung, zu internationalen Verträgen und zum weltweiten System des Flüchtlingsschutzes bleibt von den Partnerländern nicht unbemerkt und könnte ihre eigene Bereitschaft, Schutz zu gewähren, untergraben: Warum sollten andere wichtige Aufnahmeländer der EU die Verantwortlichkeit für den Flüchtlingsschutz abnehmen, wenn diese sich weigert, das Recht auf Asyl in ihrem Hoheitsgebiet zu gewährleisten? Die möglichen Auswirkungen für den Flüchtlingsschutz weltweit könnten verheerend sein.

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben ihre ernsthaften Bedenken hinsichtlich der kürzlich vereinbarten Reformen im Rahmen des Pakts zu Migration und Asyl deutlich gemacht. Die Überstellung von Asylbewerber*innen in Gebiete außerhalb der EU zum Zwecke des Asylverfahrens und des Flüchtlingsschutzes ist jedoch weder im Pakt noch im bereits zuvor geltenden EU-Recht vorgesehen. Nachdem die EU und ihre Mitgliedstaaten nun fast ein Jahrzehnt lang versucht haben, das EU-Asylsystem zu reformieren, sollten sie sich nun auf eine menschenrechtsorientierte Umsetzung dieser Reform konzentrieren, die das Recht auf Asyl in den Vordergrund stellt, an das sie durch EU-Recht und das Flüchtlingsvölkerrecht weiterhin gebunden sind. Sie sollten nicht wenige Wochen nach der Verabschiedung der Reform weitere Zeit und Ressourcen auf Vorschläge verschwenden, die mit europäischem und internationalem Recht unvereinbar sind.

Unterzeichnende Organisationen

11.11.11

ActionAid International

Adopt a Revolution

AGDDS

AMERA International

Amnesty International

APDHA - Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucía

ARCI (Associazione Ricreativa e Culturale Italiana)

Asociación de Mujeres migrantes y refugiadas Tierramatria

Asociación Elin

Asociación Rumiñahui

Bedsteforældre for Asyl

Brot fuer die Welt

Caleidoscopia

Caritas Europa

Casa do Brasil de Lisboa

CCFD-Terre Solidaire

CEAR

Centre for Peace Studies

Christian Council of Norway

Churches’ Commission for Migrants in Europe, CCME

Ciré asbl

CNCD-11.11.11

CONVIVE - Fundación Cepaim

CRLDHT

Danish Refugee Council

Danish United Nations Association / FN-forbundet

DIGNITY

Ellebæk Contact Network

EuroMed Rights

Europe Cares eV.

European Council on Refugees and Exiles (ECRE)

European Evangelical Alliance (EEA)

European Network on Statelessness

Federation of Protestant Churches in Italy (FCEI)

Finnish Refugee Advice Centre

Finnish Refugee Council

Foundation for the Promotion of Rights, Algeria

Fundacja Inicjatywa Dom Otwarty

Fundacja Right to Protection

Geloof & Samenleving

Greek Council for Refugees (GCR)

HIAS Europe

Human Rights Legal Project

Human Rights Watch

I Have Rights

International Rescue Committee

Irídia-Center for the Defense of Human Rights

iuventa-crew

JRS Europe

Justice & Peace Netherlands

La Cimade

LeaveNoOneBehind

LGBT Asylum

Ligue des droits humains Belgique

Lysfest for Humanisme

Médecins du Monde International Network

Migration Consortium

Migration Policy Group

Mission Lifeline International.e.V.

Movimiento por la Paz, MPDL

Novact

Ocalenie Foundation

Oxfam

Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants - PICUM

Polish Migration Forum

Polska Akcja Humanitarna

PRO ASYL

r42-SailAndRescue

RECOSOL - Rete delle Comunità Solidali

RED ACOGE

Refugee Legal Support (RLS)

Refugees Welcome

RESQSHIP e.V.

Salud por Derecho

Save the Children

Sea-Watch

Servicio Jesuita a Migrantes España - SJM

Små Broer

SOLIDAR

SOS Humanity

SOS Racism Denmark

Statewatch

Stowarzyszenie Egala / Egala Association

Svenska Kyrkan (Church of Sweden)

United Against Inhumanity

Vluchtelingenwerk Vlaanderen

Vores Asylbørn

Zusammenland gUG

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