(Rangoon) – Die Burmesische Armee hat am 30. August 2017 im Dorf Tula Toli systematische Tötungen und Vergewaltigungen an mehreren Hundert Rohingya-Muslimen verübt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Das Massaker war Teil der Militärkampagne zur ethnischen Säuberung, durch die seit August mehr als 645.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch vertrieben wurden.
Der 30-seitige Bericht „Massacre by the River: Burmese Army Crimes against Humanity in Tula Toli“ beschreibt den Angriff der Sicherheitskräfte auf mehrere Tausend Dorfbewohner in Tula Toli, das offiziell als Min Gyi bezeichnet wird. Human Rights Watch hat dokumentiert, wie die Sicherheitskräfte Dorfbewohner am Flussufer einkesselten. Anschließend vergewaltigten und töteten sie Männer, Frauen und Kinder und setzten das Dorf in Brand.
„Die Gräueltaten der burmesischen Armee in Tula Toli waren nicht bloß abscheulich, sie wurden auch systematisch verübt“, so Brad Adams, Direktor der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Die Soldaten töteten und vergewaltigten Hunderte Rohingya mit einer grausamen Effizienz, die sich nur durch vorherige Planung erreichen lässt.“
Der Bericht stützt sich auf Interviews mit 18 überlebenden Rohingya aus Tula Toli, die in Bangladesch durchgeführt wurden, und auf die weiter reichenden Ermittlungen von Human Rights Watch zu den Militäroperationen gegen Rohinya-Dörfer, für die seit September mehr als 200 geflüchtete Rohingya befragt wurden.
Die Militäroperationen begannen, nachdem die Arakan Rohingya Befreiungsarmee (ARSA) am 25. August mehrere Außenposten der Sicherheitskräfte angegriffen hatte. Am Morgen des 30. August kamen Hunderte uniformierte Soldaten der burmesischen Armee und bewaffnete Dorfbewohner aus der Volksgruppe der Rakhaing (auch als Arakanesen bezeichnet) nach Tula Toli. Die Rohingya in dem Dorf, darunter auch Bewohner umliegender Gebiete, die nach den Angriffen auf ihre Städte in den vorausgegangenen Tagen nach Tula Toli geflüchtet waren, suchten am Flussufer Zuflucht. Der breite Uferstreifen umschließt das Dorf von drei Seiten. Viele Dorfbewohner sagten gegenüber Human Rights Watch, der örtliche Anführer der Rakhaing habe sie angewiesen, sich am Strand zu versammeln, und erklärt, sie seien dort sicher.
Die Sicherheitskräfte umstellten das Gebiet und schossen in die versammelte Menge und auf jeden, der fliehen wollte. Sie trennten Frauen und Männer und bewachten die Frauen und Kinder im seichten Wasser, während sie die Männer systematisch erschossen oder mit Messern töteten. Die 24-Jährige Shawfika, die zusah, wie ihr Ehemann und ihr Schwiegervater getötet wurden, sagte, das Töten am Strand habe sich über Stunden hingezogen:
Sie hörten einfach nicht auf, Männer einzufangen, zum Hinknien zu zwingen und zu töten. Dann legten sie ihre Leichen auf einen Haufen. Zuerst schossen sie auf sie und wer dann immer noch lebte, wurde mit Macheten getötet… Sie brauchten eineinhalb Stunden, um alle Leichen zu tragen.
Bis zum Nachmittag wurden am Flussufer Hunderte Menschen getötet. Die Soldaten und Dorfbewohner aus der Volksgruppe der Rakhaing verbrannten die Leichen in tiefen Gruben, die sie im Sand gegraben hatten. Dadurch sollten offenbar Beweise vernichtet werden.
Überlebende schilderten, wie Kleinkinder von ihren Müttern fortgerissen und getötet wurden. Manche wurden in Feuer oder in den Fluss geworfen, andere wurden am Boden liegend erschlagen oder erstochen. Die 20-Jährige Hassina Begum versuchte, ihre einjährige Tochter Sohaifa unter ihrem Kopftuch zu verstecken, was ein Soldat jedoch bemerkte. „Er nahm mir meine Tochter weg und warf sie lebendig ins Feuer. Was sollte ich da tun? … Er hatte ein Messer in der Hand und ein Gewehr auf der Schulter.“
Die Soldaten brachten Frauen und Kinder in kleinen Gruppen in nahegelegene Häuser, wo viele vergewaltigt, sexuell missbraucht, mit Messern verletzt und geschlagen wurden. Neun Frauen und Mädchen, die von Human Rights Watch befragt wurden, berichteten, sie seien vergewaltigt oder sexuell missbraucht worden und hätten auch andere Vergewaltigungen miterlebt. Anschließend verschlossen die Soldaten die Häuser und setzten sie in Brand. Sie ließen die größtenteils toten Frauen und Kinder im Innern zurück. Shawfika schilderte, wie sie aus einem brennenden Haus entkam:
Ich wachte auf und merkte, dass ich in einer Lache aus klebrigem Blut lag. Ich versuchte, die anderen zu wecken, doch sie rührten sich nicht. Dann brach ich durch die [Bambus-]Wand und floh… Alle Häuser in der Umgebung brannten. Ich hörte, wie Frauen in anderen Häusern schrien. Sie konnten den Flammen nicht mehr entkommen.
Wie viele andere Befragte war auch Shawfika die einzige Überlebende aus einer Gruppe von acht Frauen und Kindern, die von den Soldaten in ein Haus gesperrt wurde. Die Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass sich die Vergewaltigungen und Morde in den Häusern systematisch wiederholten.
Human Rights Watch wertete Satellitenbilder aus, die belegen, dass die Rohingya-Dörfer Tula Toli und das nahegelegene Dual Toli – insgesamt 746 Gebäude – vollständig niedergebrannt wurden, während benachbarte, nicht von Rohingya bewohnte Dörfer intakt blieben. Vor dem Angriff lebten in Tula Toli schätzungsweise 4.300 Rohingya.
Das burmesische Militär und die Regierung haben Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte wiederholt abgestritten. Am 13. November veröffentlichte eine Untersuchungskommission der burmesischen Armee einen Bericht, der beteuerte, die Sicherheitskräfte hätten während der Operationen im Rakhaing-Staat keine Straftaten verübt und es habe keine „Todesfälle unschuldiger Personen“ gegeben.
Die Berichte aus Tula Toli deuten jedoch darauf hin, dass das burmesische Militär seit dem 25. August Menschenrechtsverletzungen gegen die Rohingya verübt hat, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, insbesondere Mord, Vergewaltigung, Verfolgung und Vertreibung. Der Bericht enthält Auflistungen zahlreicher Familien, die durch den Angriff auf Tula Toli viele Angehörige verloren, einschließlich der Namen von mehr als 120 getöteten Personen. Diese stammen oft von den einzigen Überlebenden in der jeweiligen Familie. Ein am 12. Dezember veröffentlichter Bericht von Ärzte Ohne Grenzen (MSF) stellte fest, dass durch die Gewalt seit Beginn der Militäroperationen Ende August mindestens 6.700 Rohingya getötet wurden. Er stützt sich auf Ermittlungen in Flüchtlingslagern in Bangladesch.
Die burmesische Regierung soll unverzüglich ihre Kampagne zur ethnischen Säuberung beenden. Sie soll humanitären Hilfsorganisationen und der Untersuchungskommsission der UN dringend uneingeschränkten Zugang zum Rakhaing-Staat gewähren. Der UN-Sicherheitsrat und alle betroffenen Regierungen sollen gezielte Sanktionen gegen Befehlshaber des burmesischen Militärs und gegen wichtige Wirtschaftsunternehmen im Besitz des Militärs verhängen. Die Sanktionen sollen Reisesperren, Einschränkungen des Zugangs zum Finanzmarkt und ein umfassendes Militärembargo gegen Burma beeinhalten.
„Die UN und alle ausländischen Regierungen müssen dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für diese schweren Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden“, so Adams. „Um den Opfern von Tula Toli Gerechtigkeit zu bringen, reicht es nicht aus, die Taten zu verurteilen. Dazu ist ein konzertiertes Handeln der internationalen Gemeinschaft nötig und zwar jetzt.“