Die Verurteilung einer serbischen Frau zeigt ethnische Voreingenommenheit und Mangel an Professionalität in kroatischen Kriegsverbrecherprozessen auf, sagte Human Rights Watch heute in einem Hintergrundpapier. Ivanka Savic wurde am 21. Januar wegen Kriegsverbrechen verurteilt.
Die zwei Hauptprobleme im Savic-Prozess, so Human Rights Watch, waren die fehlerhafte Anwendung des kroatischen Rechts und des humanitären Völkerrechts sowie ethnische Voreingenommenheit gegenüber der serbischen Angeklagten. Das Hintergrundpapier ist das Dritte der Reihe „Balkans Justice Bulletins“, welche die Bemühungen nationaler Behörden bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien untersuchen.
Die zunehmende Absicht des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), Kriegsverbrecherverfahren in Zukunft an Gerichte der Länder des ehemaligen Jugoslawien verweisen zu wollen, setzt voraus, dass nationale Prozesse effektiv und fair geführt werden. Nur so können Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern sichergestellt werden.
„Die Probleme im Savic-Prozess – Voreingenommenheit und Mangel an juristischer Professionalität – sind charakteristisch für die meisten Kriegsverbrecherprozesse in Kroatien“, sagte Rachel Denber, amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. „Die kroatischen Gerichte müssen viel höhere Justiz-Standards einhalten.“
Das kroatische Verfassungsgericht hatte vor kurzem mit scharfer Kritik an den Standards in Kriegsverbrecherprozessen vor kroatischen Gerichten reagiert und eine Reihe von Entscheidungen von Bezirksgerichten in Kriegsverbrecherprozessen, die kroatische Angeklagte betrafen, aufgehoben. Die Prozesse, die entweder zu Freispruch oder zu sehr nachsichtigen Strafen führten, werden neu verhandelt. Das Verfassungsgericht hatte auch die meisten Schuldurteile gegen ethnische Serben, die von Bezirksgerichten wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurden, aufgehoben und an die betreffenden Gerichte zurückverwiesen.
Die 78-jährige, Ivanka Savic, war vom Vukovarer Bezirksgericht wegen Kriegsverbrechen zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Verhandlung wurde 1993-94 im Bezirksgericht Osjek in Abwesenheit der Angeklagten Savic geführt. Eine zweite Verhandlung fand dann in ihrer Anwesenheit in Vukovar statt. Dieses Verfahren begann im Mai 2001 und führte im Jahre 2004 (mit einer zweijährigen Unterbrechung zwischen 2001 und 2003) zu einem Urteil.
Das Vukovarer Gericht vertrat die Ansicht, dass die Angeklagte drei an der Verteidigung der kroatischen Stadt Vukovar beteiligte Kroaten nach der serbischen Übernahme der Stadt im November 1991 „denunziert“ habe. Dem Gericht zufolge seien die Männer nach Serbien verbracht und dort misshandelt worden. Human Rights Watch sagte, dass die dem Gericht vorgelegenen Beweise nicht beweisen würden, dass die Angeklagte die drei Männer identifizierte. Das Gericht habe auch nicht nachgewiesen, dass die Angeklagte eine strafrechtliche Absicht verfolgte.
Dem Gericht zufolge habe die Angeklagte außerdem eine Kroatin aus Vukovar eingeschüchtert und misshandelt, indem sie diese gezwungen habe, sie zu bedienen und für sie zu kochen. Außerdem soll sie Wertgegenstände aus dem Haus der Frau und aus einem Nachbarhaus gestohlen haben. Human Rights Watch sagte, dass die gerichtlichen Erkenntnisse auf einer offensichtlichen Verzerrung wesentlicher Zeugenaussagen basierten. Das Gericht habe auch versäumt, die Verfehlungen der Angeklagten in Zusammenhang mit den Kriterien für Misshandlungen im Sinne eines Kriegsverbrechens zu bringen.
Die Angeklagte Savic hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Verfahren ist jetzt vor dem kroatischen Verfassungsgericht anhängig. Ihre Strafe wurde bis zum Ausgang dieses Verfahrens ausgesetzt.
„Beamte, Richter und Anwälte in Kroatien müssen anerkennen, dass ordentliche Prozesse juristische Fachkompetenz ebenso wie ethnische Unvoreingenommenheit erfordern,“ betonte Denber. „Die Internationale Gemeinschaft und speziell die Europäische Union sollten Kroatien diese Botschaft mit mehr Nachdruck übermitteln als in der Vergangenheit“.
Die kroatischen Bezirksgerichte – welche die meisten Kriegsverbrecherprozesse führen – sind im besonderen Maße „ethnisch voreingenommen“ und nicht ausreichend professionell im Führen dieser Prozesse. Das Problem der Unvoreingenommenheit wurde bereits von Human Rights Watch und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE ) dokumentiert.
Im Oktober 2003 verabschiedete das kroatische Parlament ein Gesetz, das die Übergabe von Kriegsverbrecherprozessen von den ländlichen Bezirksgerichten an die städtischen Bezirksgerichte in Zagreb, Osjek, Rijeka und Split ermöglichen soll. Doch muss dieses Gesetz jetzt auch umgesetzt werden.