(Brüssel) – Die Verurteilung von Ratko Mladic, einst bekannt als „Schlächter von Bosnien”, wegen Völkermord und anderer Verbrechen am 22. November 2017 zeigt, dass die Verantwortlichen für schreckliche Gräueltaten endlich zur Rechenschaft gezogen werden, so Human Rights Watch heute.
Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (engl. The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) erklärte Mladic in zehn der elf Anklagepunkte wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord für schuldig und verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Mladic war von 1992 bis 1996 Oberbefehlshaber der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina.
„Mehr als zwei Jahrzehnte nachdem Anklage gegen ihn erhoben wurde, muss Ratko Mladic endlich die Konsequenzen für seine grauenvollen Verbrechen tragen“, so Param-Preet Singh, stellvertretende Direktorin der Abeilung Internationale Justiz von Human Rights Watch. „Mladics Verurteilung soll eine klare Botschaft an alle Machthaber der Welt senden, die brutale Gräueltaten begehen, sei es in Myanmar, Nordkorea oder Syrien. Die Justiz kann auch jene zur Rechenschaft ziehen, die unantastbar scheinen.“
Im Juli 1995 klagte das Gericht Mladic und Radovan Karadzic, den ehemaligen Präsidenten der Republika Srpska, die während des Krieges ausgerufen wurde, wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in mehreren Gemeinden in Bosnien und Herzegowina an.
Im November 1995 erhob der Gerichtshof jeweils getrennte Anklagen gegen Mladic and Karadzic wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Diese basierten auf der Massenhinrichtung von mindestens 7.000 muslimischen Männern und Jungen aus Bosnien durch die bosnisch-serbische Armee, nachdem die Stadt Srebrenica gefallen war. Der ICTY und der Internationale Gerichtshof kamen zu dem Schluss, dass das Massaker von Srebrenica Völkermord war.
Beide Männer tauchten daraufhin unter. Im Mai 2011 nahmen die serbischen Behörden Mladic fest. Karadzic war bereits im Juli 2008 in Belgrad verhaftet worden. Am 24. März 2016 verurteilte der ICTY Karadzic zu 40 Jahren Gefängnis wegen seiner Beteiligung am Völkermord von Srebrenica und anderer schwerer Verbrechen in Bosnien und Herzegowina.
Das Verfahren gegen Mladic begann am 16. Mai 2012 und dauerte mehr als 500 Tage. Grund hierfür war u.a. die Sorge um Mladics Gesundheitszustand. So waren die Anhörungen jeweils eine halbe Stunde kürzer als in anderen Verfahren. Die Schlussplädoyers erfolgten im Dezember 2016. Im Mai 2017 wiesen die Richter einen Antrag von Mladics Verteidigung ab, diesen nach Russland ausreisen zu lassen, um sich dort in medizinische Behandlung zu begeben. Laut Gericht befand sich Mladic „in einem stabilen Gesundheitszustand“, auch wenn es seit seiner Auslieferung einige Risiken gegeben habe. Die Bemühungen von Mladics Verteidigung, die Urteilssprechung aus gesundheitlichen Gründen vertagen zu lassen, blieben ebenfalls erfolglos. Nach einer kurzen Unterbrechung bei der heutigen Urteilsverkündung schrie Mladic im Gerichtssaal und musste den Raum verlassen.
Die Europäische Union spielte eine wichtige Rolle dabei, dass Mladic sich vor Gericht verantworten musste. So wurden die engeren Beziehungen zu Serbien an die Bedingung geknüpft, dass das Land uneingeschränkt mit dem ICTY zusammenarbeitet, die flüchtigen Angeklagten festnimmt und der Justiz übergibt. Keiner der 161 Verdächtigen, gegen die der Gerichtshof Anklage erhoben hat, ist mehr auf freiem Fuß.
„Die Urteile gegen Mladic und Karadzic, die für die schlimmsten Verbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich sind, zeigen, dass den Opfern durch die internationale Justiz Gerechtigkeit widerfahren kann, sofern Länder dies politisch und finanziell unterstützen“, so Singh.
Der Prozess gegen Mladic ist der letzte des ICTY. Nach dem Berufungsurteil in einem anderen Verfahren wird der Gerichtshof Ende 2017 seine Pforten schließen. Der Internationale Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe, der einen Sitz in Den Haag hat, wird alle ausstehenden Verfahren verhandeln.
Zwar ist das Urteil des ICTY ein Erfolg. Doch es gilt, auch die anderen Tausenden Fälle aufzuarbeiten, bei denen es während der Balkankonflikte zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam. Den nationalen Bemühungen stehen hier politische Schwierigkeiten und Kapazitätsprobleme im Weg. Die nationalen Behörden in Bosnien und Herzegowina werden die meisten dieser Fälle verhandeln, andere werden von Gerichten in Serbien und Kroatien übernommen. Ein neuer Gerichtshof in Den Haag, der kosovarisches Recht anwendet, dem jedoch internationale Strafverfolger und Richter vorsitzen, wird Fälle von schweren Verbrechen während und nach dem Unabhängigkeitskrieg 1998-1999 im Kosovo verhandeln.
Der Chefankläger des ICTY, Serge Brammertz, äußerte kürzlich die Sorge darüber, dass sich die Zusammenarbeit mit den regionalen Justizbehörden verschlechtert habe. Zudem habe sich die Polarisierung des politischen Umfelds in der Region verschärft, wodurch Konflikte und Gräueltaten ihre ganz eigene Logik entwickeln könnten. Dies verdeutlicht, wie wichtig die Suche nach Wahrheit und Versöhnung in der Region ist, ebenso wichtig wie die Rechtsprechung der nationalen Gerichte.
„Auch wenn Mladic nun verurteilt wurde: Auch alle anderen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, die für die brutalen Verbrechen während des Krieges in Bosnien und Herzegowina verantwortlich waren”, so Singh. „Die nationalen Behörden sollen jetzt alles tun, damit auch noch diese Verdächtigen vor Gericht gestellt werden. Zudem darf die Wahrheit darüber nicht in Vergessenheit geraten, was den Opfern widerfahren ist.“
ICTY/Bosnien: Ratko Mladic wegen Völkermord verurteilt
Letztes Verfahren des Gerichtshofs unterstreicht Bedeutung nationaler Rechtsprechung
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