(Beirut) – Transfrauen sind im Libanon systematisch Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt, so Human Rights Watch, Helem und MOSAIC in einem heute veröffentlichten Bericht und Video. Transfrauen werden vielfach diskriminiert, etwa beim Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Gesundheitsversorgung und zu Wohnraum. Zudem erleben sie Gewalt durch Sicherheitskräfte und Mitbürger.
Für den 119-seitigen Bericht „‘Don’t Punish Me for Who I Am’: Systemic Discrimination Against Transgender Women in Lebanon“ befragte Human Rights Watch in Zusammenarbeit mit Helem und MOSAIC 50 Transfrauen im Libanon, davon 24 libanesische Transfrauen, 25 transgeschlechtliche Geflüchtete und Asylsuchende aus anderen arabischen Ländern und eine staatenlose Transfrau. Zudem sprachen die Organisationen mit Menschenrechtsaktivisten, Vertretern internationaler Organisationen, Anwälten, Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten, die mit Transmenschen im Libanon arbeiten.
„Dieser wegweisende Bericht belegt die allgegenwärtige Gewalt gegen und Diskriminierung von Transfrauen im Libanon“, sagt Lama Fakih, Leiterin der Abteilung Mittlerer Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch. „Transfrauen sind mit einer ignoranten und feindseligen Gesellschaft konfrontiert. Noch dazu erleben sie Gewalt und Misshandlung durch Sicherheitskräfte und Regierungsstellen, die sie und ihre Rechte schützen sollten.“
Der gesellschaftliche Ausschluss von Transmenschen wird dadurch verstärkt, dass es an Ressourcen für Angebote mangelt, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Außerdem ist es für sie sehr schwierig, Ausweisdokumente zu erhalten, die ihre Geschlechtsidentität und ihren Geschlechtsausdruck anerkennen. Transgeschlechtliche Geflüchtete, die ohnehin schon marginalisiert sind, erleben häufig noch massivere Diskriminierung.
Die Diskriminierung von Transfrauen beginnt zu Hause. Die Befragten berichten von häuslicher Gewalt, auch von körperlichen und sexualisierten Übergriffen, und davon, über lange Zeiträume und ohne Nahrung und Wasser in einen Raum eingesperrt worden zu sein. Viele Transfrauen wurden aus ihrem Zuhause vertrieben, die geflüchteten Frauen sogar aus ihrem Heimatland. Währenddessen haben viele das Gefühl, dass sie ihre Rechte nicht einfordern können. Es gibt im Libanon keine Zufluchtshäuser für Transfrauen in Not, so dass sie alleine auf dem informellen, teuren und oft diskriminierenden libanesischen Wohnungsmarkt eine Bleibe suchen müssen. Transfrauen werden häufig von ihren Vermietern, Mitbewohnern und Nachtbarn diskriminiert und von der Polizei auf Grund ihrer Geschlechtsidentität vertrieben.
Auch in der Öffentlichkeit fühlen sich viele Transfrauen nicht sicher. Sicherheitskräfte belästigen sie wegen ihres äußeren Erscheinungsbilds an Kontrollpunkten, verhaften sie oder werden gewalttätig, in einigen Fällen folterten sie die Frauen. Zwar ist es im libanesischen Recht nicht strafbar, trans zu sein, aber Artikel 534 des Strafgesetzbuches kriminalisiert „jede sexuelle Beziehung wider der Natur“ und wird regelmäßig gegen Transfrauen angewandt. Transmenschen werden auch häufig wegen Verstößen gegen die „öffentliche Moral“ oder wegen „Anstacheln zur Liederlichkeit“ verhaftet. Transfrauen, die auf Grund dieser Gesetzes verhaftet werden, werden in Männerzellen inhaftiert und zu Geständnissen gezwungen.
Darüber hinaus genießen Personen, die Transfrauen belästigen oder körperlich angreifen, Straflosigkeit. Viele Transfrauen müssen ihre Identität verstecken, um zu überleben. Eine Frau sagte, dass es sich „anfühlt als würde kochendes Wasser über mich gegossen“, wenn sie tagsüber durch Beirut geht.
Fast alle Befragten sagten, dass sie wegen ihres Erscheinungsbildes in Bewerbungsverfahren abgelehnt werden. Für transgeschlechtliche Flüchtlinge und Asylsuchende verschärft sich diese Diskriminierung noch, da sie keinen regulären Aufenthaltsstatus haben und daher nur eingeschränkt im Libanon arbeiten können.
Viele Transfrauen werden im Gesundheitswesen diskriminiert, etwa indem ihnen eine Behandlung auf Grund ihrer Geschlechtsidentität verweigert wird. Eine Frau berichtete: „Ich wurde sehr krank und musste ins Krankenhaus. Als ich dort ankam, erbrach ich Blut, aber sie weigerten sich, mich aufzunehmen, weil ich trans bin… Ich hätte vor der Krankenhaustür sterben können.“
Eine der größten Hürden beim Zugang zu grundlegenden Diensten ist, dass es für Transfrauen sehr schwierig ist, Ausweisdokumente mit dem richtigen Geschlechtseintrag zu bekommen. Im Libanon können Transmenschen ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag in amtlichen Dokumenten nur mittels eines Gerichtsentscheids ändern lassen. Voraussetzung dafür ist in der Regel die Diagnose einer „Geschlechtsidentitätsstörung“ und eine geschlechtsangleichende Operation, die sehr teuer ist und die viele Frauen nicht durchführen lassen wollen. Zudem hält es viele Transfrauen davon ab, eine Entscheidung zu erwirken, dass die Gebühren sehr hoch sind, sie keine rechtliche Unterstützung bekommen und die Verfahren übermäßig lange dauern.
Im Januar 2016 entschied ein Berufungsgericht, dass ein Transmann seinen Namen und seinen Geschlechtseintrag ändern darf. Damit wurde ein früheres Urteil unter Berufung auf das Recht auf Privatsphäre in Artikel 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte aufgehoben. Das Gericht befand, dass eine geschlechtsangleichende Operation nicht die Voraussetzung für die Anerkennung der Geschlechtsidentität ist. Allerdings war dies kein rechtlich bindender Präzedenzfall.
Die libanesische Regierung soll unverzüglich die systematische Diskriminierung von und Gewalt gegen Transfrauen beenden. Die Sicherheitskräfte sollen Transfrauen nicht mehr auf Grund ihrer Geschlechtsidentität verhaften, sondern sie stattdessen vor Gewalt schützen, auch indem sie Gewalttäter zur Verantwortung ziehen. Die libanesische Regierung soll den Schutz vor Diskriminierung auf Grund der Geschlechtsidentität gesetzlich fixieren. Außerdem soll sie einen einfachen Verwaltungsprozess etablieren, der es Transmenschen ermöglicht, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Basis einer Selbsterklärung zu ändern, wie es in Ländern von Argentinien über Malta bis Pakistan gängige Praxis ist.
Geberländer und internationale Organisationen sollen Trans-Initiativen finanzieren, damit diese dringend erforderliche Dienste wie Gesundheitsversorgung und Rechtsberatung etablieren und dabei helfen können, dass Transfrauen selbst ein Einkommen erhalten. Auch Notunterkünfte für Transfrauen sollen überall im Land finanziert werden.
„Transfrauen müssen sich im Libanon verstecken, um zu überleben. Die Regierung kann nicht länger behaupten, nichts von der Gewalt und der Diskriminierung zu wissen, die sie erleben“, so Fakih. „Indem sie ihre Geschichten teilen, fordern Transfrauen die Regierung auf, sie wahrzunehmen. Zudem sollen sie gleichen Zugang zu einer Lebensgrundlage, Diensten und Schutz erhalten.“
Ausgewählte Zitate
Randa, eine 25-jährige Transfrau aus Syrien, berichtete, dass sie fünf Monate und fünf Tage lang im Gefängnis war, die meiste Zeit unterirdisch in Roumieh – „keine Sonne, keine Luft“ – nachdem Beamte der Inneren Sicherheit sie wegen „Sodomie“ verhaftet hatten:
Sie verhörten mich von Mitternacht bis 5 Uhr morgens. Sie schlugen mich ohne Pause und wollten mich dazu bringen, ihnen die Namen von anderen LGBT-Personen zu nennen. Sie gaben mir zehn Tage lang kaum Essen und Wasser. Ich durfte keinen Anwalt anrufen, es wurde mir auch keiner zugewiesen. Sie rasierten meine Haare ab. Sie fesselten mich an einen Stuhl, meine Hände banden sie hinter meinen Rücken. Jedes Mal, wenn ein Beamter mir eine Frage stellte und ich sagte, „ich weiß es nicht“, schlug er mir ins Gesicht. Ein anderer Beamter drückte seine Zigarette auf meinem Arm aus. Ich wurde in Haft krank, konnte kaum aufstehen und fragte nach einem Arzt. Sie sagten „lasst ihn verrotten und verrecken“. Nicht nur die Polizisten, auch andere Häftlinge belästigten mich. Sie beschimpften mich und beleidigten mich die ganze Zeit – sie bezeichneten mich als „die Schwuchtel“.
Transfrauen erleben Diskriminierung auf den Arbeitsmarkt, weil ihr Geschlechtsausdruck nicht zu dem Namen und dem Geschlechtseintrag in ihrem Ausweis passt. Die Hürden, die einer Änderung des Geschlechtseintrags in amtlichen Dokumenten im Weg stehen, verschärfen die wirtschaftliche Marginalisierung von Transfrauen. Elsa, 50, sagte:
Mein Problem ist mein Ausweis. Sie würden mich einstellen, weil ich wie eine Cisfrau [eine Frau, die sich als Frau identifiziert und der bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurden] aussehe. Niemand würde sich wundern, aber in meinem Ausweis steht „männlich“. Ich bewarb mich überall in Beirut auf Stellen im Einzelhandel und bekam oft gesagt, „okay, bringen Sie morgen ihre Papiere mit, dann können Sie anfangen“. Sobald sie meinen Ausweis sehen, machen sie einen Rückzieher. Wenn ich ihnen meine Situation erklären könnte, wäre das einfacher, aber niemand hier weiß oder akzeptiert, was es bedeutet, trans zu sein. Ich habe es viermal in Bourj Hammoud und zweimal in Dekweneh versucht. Für eine Frau in meinem Alter sind die Blamage und die Demütigung einfach zu viel.
Während Transfrauen kaum Zugang zu regulärer Beschäftigung haben, sind sie im informellen Sektor nicht vor unzulässiger Entlassung geschützt. Lola, eine 42-jährige, libanesische Transfrau berichtete:
Bei meiner letzten Stelle am Flughafen hatte ich sehr langes Haar, das ich aber auf dem Kopf zusammensteckte und eine Kappe darüber trug. Dennoch bestand mein Arbeitgeber darauf, dass ich sie komplett abschneide, und das konnte ich nicht, also feuerte er mich. Der Grund, den er mir nannte, war, dass das Sicherheitspersonal am Flughafen ein Problem damit hat, dass ich lange Haare habe. Und das nach drei Monaten, in denen ich jeden Tag um 5 Uhr morgens aufgestanden bin, um 6 Uhr bei der Arbeit war, bis 19 Uhr arbeitete und 400 € im Monat bekam. Das habe ich akzeptiert, um Arbeit zu haben und nicht auf der Straße leben zu müssen. Und dann entlässt er mich.
Im Libanon ist es für Transmenschen schwer, Ausweisdokumente zu bekommen, die ihrer Identität entsprechen. Diana, eine 27-jährige libanesische Transfrau sagte:
Ich warf meinen alten Ausweis in den Müll und beantragte einen neuen. Ich sagte, ich hätte ihn verloren. Ich musste wirklich ein Dutzendmal in meine Heimatstadt zum Mukhtar gehen, um sie dazu zu bringen, ein Foto von mir, wie ich heute aussehe, in den Ausweis zu machen. Ich wurde so massiv belästigt, sie sagten Dinge zu mir wie “warum siehst du so aus? Bist du kein Mann? Du bist ekelhaft“. Der Mukhtar sagte, er würde nicht einmal damit anfangen, mir einen Ausweis auszustellen, wenn ich mir nicht die Haare abschneide. Ich musste ihn bestechen. Nach monatelangem Herumrennen haben sie endlich ein aktuelles Foto von mir akzeptiert, aber mein Name ist immer noch der gleiche.
Lina, eine 28-jährige Transfrau aus dem Irak, sagte:
Namens- und Geschlechtseintragsänderungen sollten ganz normale Verfahren sein, für die man weder Anwalt noch Ärzte braucht. Ich muss niemanden „beweisen“, dass ich eine Frau bin, das ist einfach ein inneres Gefühl.