Olaf Scholz wird am 17. September als erster deutscher Bundeskanzler Geschichte schreiben, wenn er zu einem Gipfeltreffen mit den fünf Staatschefs Zentralasiens reist. Ziel des Gipfels ist es, engere Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Energie und Entwicklung zu schaffen.
Die Initiative unterstreicht die Bedeutung, die Deutschland den Beziehungen zu Zentralasien beimisst, insbesondere nach Russlands groß angelegtem Einmarsch in die Ukraine vom Februar 2022. Berlin wird seine eigenen Ziele in der Region eher erreichen, wenn es die Forderung nach Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit seitens der autoritären Regierungen in Zentralasien in den Vordergrund stellt.
Der geopolitische und wirtschaftliche Kontext für engere Beziehungen zwischen Deutschland und den fünf zentralasiatischen Staaten - Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan - sich nach Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 gewandelt. Für Deutschland bietet die Region nun Zugang zu alternativen Energiequellen, nachdem es zuvor stark von Russland abhängig war. Darüber hinaus hat Deutschland zusammen mit anderen Staaten der Europäischen Union versucht, Russlands Bemühungen zu vereiteln, die Wirtschaftssanktionen durch Importe über Zentralasien zu umgehen. Die zentralasiatischen Länder haben ihre Beziehungen zu Moskau zwar nicht abgebrochen, aber sie haben versucht, andere Beziehungen, wie zum Beispiel zu Deutschland, zu intensivieren, um ein Gegengewicht zu schaffen.
Der Gipfel knüpft an ein ähnliches Treffen an, das im September 2023 in Berlin stattfand. Die jetzige Veranstaltung soll dazu dienen, „diese regionale Partnerschaft mit Leben zu füllen,“ so Scholz’ Regierungssprecher. Damit die Veranstaltung glaubhaft und wirksam sein kann, muss sich Scholz auf die Verbesserung der Menschenrechte konzentrieren, die nicht nur an sich von entscheidender Bedeutung sind, sondern auch den Schlüssel zu den gemeinsamen Interessen der neuen „Partnerschaft“ bilden.
Zu den schwerwiegenden Menschenrechtsproblemen in der gesamten Region gehören unter anderem die Unterdrückung des Rechts auf Protest und freie Meinungsäußerung - auch im Internet -, Inhaftierungen von Aktivisten*innen, Folter in Gewahrsam, ein rigoroses Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft, Gewalt gegen Frauen, Straflosigkeit für übergriffige Sicherheitskräfte sowie fehlende freie und faire Wahlen.
Darüber hinaus sind bei den vielen Themen, die die sechs Staats- und Regierungschefs im September letzten Jahres als gemeinsame Prioritäten festgelegt haben, kaum oder gar keine Fortschritte möglich, solange diese Probleme nicht angegangen werden. Es wird nicht möglich sein, mehr Investitionen aus Deutschland, eine nachhaltige Entwicklung in Zentralasien oder ernsthafte persönliche Kontakte zwischen den Partnerländern „mit Leben zu füllen“, wenn internationale Menschenrechts- und Rechtsstaatlichkeitsstandards nicht eingehalten werden.
Die Bundesregierung kann nicht so tun, als seien engere Beziehungen zu Zentralasien ohne eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtslage in der Region möglich. Der bevorstehende Gipfel bietet die Chance, dies unmissverständlich klarzustellen.