(Wien) – Bei den Vorbereitungen für die Asiatischen Indoor- und Kampfkunstspiele ist die Regierung Turkmenistans mit Zwangsräumungen gegen Hausbesitzer in Aşgabat vorgegangen und hat Häuser abreißen lassen, ohne die Betroffenen angemessen zu entschädigen, so die Turkmenische Initiative für Menschenrechte (TIHR) und Human Rights Watch heute. Zu Vereinheitlichung des Stadtbilds ließen die Behörden systematisch Anbauten und Erweiterungen zerstören, welche die Eigentümer an ihre Häuser angeschlossen hatten. Den Betroffenen wurde nicht gestattet, gerichtlich gegen den Abriss ihrer Häuser vorzugehen.
Vom 17. bis 27. September 2017 sollen in der turkmenischen Hauptstadt Aşgabat die fünften Asiatischen Indoor- und Kampfkunst-Spiele (AIMAG) stattfinden, zu denen rund 8.000 Athleten aus Dutzenden Nationen erwartet werden.
„Um Aşgabat in eine Stadt aus weißem Marmor zu verwandeln und auf die Spiele vorzubereiten, wurden Tausende Menschen ihres Grundbesitzes beraubt oder in heruntergekommenen Behausungen zurückgelassen“, so Farid Tuhbatillin, Direktor von TIHR. „Die Spiele werden ganze zehn Tage dauern. Doch die Menschen, die jetzt mit unzureichendem oder gar keinem Wohnraum dastehen, werden auf Jahre hinaus leiden, wenn man sie nicht ordentlich entschädigt.“
Die turkmenische Regierung soll dafür sorgen, dass Hausbesitzer und Bewohner, die zur Räumung ihrer Häuser in Aşgabat gezwungen wurden, eine faire und angemessene Entschädigung für ihren Eigentumsverlust und die Folgekosten der Zwangsräumungen erhalten. Die turkmenischen Behörden sollen den Bewohnern von Aşgabat, die keine Entschädigung erhalten haben oder die im Zuge der städtischen Infrastruktur- und Verschönerungsprojekte obdachlos geworden sind, Zugang zu einem wirksamen Rechtsverfahren geben, das geeignet ist, ihnen zügig und fair eine Entschädigung und andere angemessenen Hilfsmaßnahmen zuzusprechen.
Die Enteignungen, Zwangsräumungen und Abbrucharbeiten, welche zur Vorbereitung der umfassenden Stadterneuerung und -verschönerung durchgeführt wurden, erfolgten über knapp zwei Jahrzehnte hinweg im gesamten Stadtgebiet von Aşgabat. Sie wurden in einer Weise vorangetrieben, die eklatant gegen das Recht auf Privateigentum und angemessenen Wohnraum verstößt. In den letzten fünf Jahren, in denen sich die Behörden auf die Spiele vorbereiteten, wurden Tempo und Ausmaß der Abbrucharbeiten sowie der Eigentums- und Wohnrechtsverletzungen intensiviert.Turkmenistan ist einer der am stärksten abgeschotteten Staaten der Erde. Die Spiele bieten eine seltene Gelegenheit, die Menschenrechtsbilanz des Landes in den Fokus der Weltöffentlichkeit zu rücken.
Laut der Dekrete des Präsidenten schaffen die Abrissaktionen und der Stadtumbau in Aşgabat „günstige Bedingungen für die kulturelle Freizeitgestaltung der Bevölkerung und der Besucher in Aşgabat in einer Ära der Stärke und des Glücks“.
Den Hausbesitzern in Aşgabat steht entweder eine „äquivalente“ Ersatzunterkunft oder eine finanzielle Entschädigung für den enteigneten Wohnraum zu. Tatsächlich waren die Ersatzunterkünfte in vielen der von TIHR und Human Rights Watch untersuchten Fälle deutlich weniger wert als der ursprüngliche Besitz der Betroffenen oder sie waren zu klein für die Bedürfnisse der Familien.
In vielen Fällen stellten die Behörden ganzen Hausgemeinschaften – teilweise 10 bis 15 Personen – lediglich Zwei- oder Dreizimmerwohnungen zur Verfügung. In anderen Fällen erfolgten die Räumungen, bevor die Ersatzwohnungen fertiggestellt waren. Dies zwang die Bewohner, bis zum Abschluss der Bauarbeiten andere Unterkünfte zu mieten. Die Wohnbedingungen in den Ersatzunterkünften waren mitunter schlecht, etwa aufgrund von Lecks, defekten Aufzügen oder anderen Problemen.
Die Behörden zwangen manche Eigentümer, im Austausch für ihre abgerissenen Häuser „hochwertigere“ Wohnungen anzunehmen. Sie verpflichteten die Betroffenen, den Wertunterschied – in einem Fall umgerechnet 25.000 US-Dollar – aus eigener Tasche zu bezahlen und verweigerten ihnen die Eigentumsrechte so lange, bis sie schließlich bezahlten.
Wenn Bewohner von Aşgabat versuchten, gegen ihre Enteignung vorzugehen oder eine bessere Entschädigung durchzusetzen, verwehrte man ihnen den Rechtsweg und drohte ihnen mit Obdachlosigkeit. In einigen Fällen kam es zu Drohungen und Schikanen von Seiten der Behörden.
Mit den Zwangsräumungen und dem Abriss von Häusern in Aşgabat verstößt Turkmenistan gegen seine Verpflichtungen im Rahmen des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR), welcher das Recht auf angemessenen Wohnraum festschreibt und von Turkmenistan im Jahr 1997 ratifiziert wurde.
Personen, die zum Verlassen ihrer Häusern gezwungen werden, haben Anspruch auf vielfältige Schutzmechanismen, etwa behördliche Anhörungen, angemessene und sinnvolle Benachrichtigungen, Informationen über die Räumung und die künftige Nutzung ihres Grundes, ein angemessene Entschädigung oder alternative Unterbringung sowie Rechtsmittel und juristische Unterstützung. Das internationale Recht verbietet „Zwangsräumungen“ und definiert diese als die zwischenzeitliche oder dauerhafte Entfernung von Personen, Familien oder Wohngemeinschaften aus ihrem Zuhause bzw. von ihrem Land, die gegen den Willen der Betroffenen und ohne Zugang zu angemessenen Formen von rechtlichem und andersartigem Schutz erfolgt.
„Durch die Ausrichtung der Indoor-Spiele versuchen die Behörden, Turkmenistans internationales Ansehen zu fördern“, so Rachel Denber, stellvertretende Direktorin der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch. „Doch indem sie Hausbesitzer belästigen und Bewohner auf ungeheuerliche Weise um ihr Zuhause betrügen, werden sie niemanden beeindrucken.“